Zapletal

Svato ZapletalDaniil Charms – Die neugierigen alten Frauen...

… und andere Erzählungen. Aus dem Russischen von Peter Urban. Mit elf farbigen Linolschnitten von Svato Zapletal. Text dreifarbig gesetzt und wie auch die Grafiken an einer Andruckpresse gedruckt. Format 23,5 x 34 cm, 60 Seiten. 2008. Im Impressum signiert und nummeriert.

Preis: 310

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Den Kennern russischer Literatur des 20. Jahrhunderts ist es nicht nötig, Charms vorzustellen: Er gehört wohl zu den sonderbarsten Erscheinungen der russischen literarischen Szene der späten zwanziger und dreißiger Jahre. Es ist bezeichnend, dass er wahrscheinlich in Deutschland öfter verlegt wurde als in der damaligen Sowjetunion (und neuerdings Russland). Und trotzdem blieb Charms' Werk nur am Rande der bei uns bekannten russischen Literatur, wohl der Eigenart seiner Texte wegen; und – er schrieb nie einen Roman, nur Gedichte, Einakter, Kindergeschichten und Erzählungen.
Daniil Charms (* 17. Juli 1905 in Sankt Petersburg, Russland) war ein russischer Schriftsteller ganz besonderer Prägung. Charms zählt zu den in der Sowjetunion verfolgten Schriftstellern, die erst Jahrzehnte nach ihrem Tod gedruckt und damit einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurden; in Deutschland wurden seine Gedichte und Erzählungen erst 1968 publiziert, in der Übersetzung von Peter Urban, der „sein“ Übersetzer wurde.
Der schriftstellerische Nachlass umfasst alle literarischen Gattungen, bis auf den Roman; Charms wird zur Avantgarde oder zum Dadaismus gezählt – aber ist es richtig? Jemand, der niemals die Grenzen Russlands überschritt, der zwar Englisch sprach, aber von Dada wohl nicht viel wusste? Andererseits war Charms 1927 Mitbegründer der Künstlervereinigung OBERIU (Vereinigung der Realen Kunst), die in ihrem Manifest die Berechtigung verschiedener Kunstrichtungen nebeneinander forderte und durch ihre sehr avantgardistischen Aktionen auffiel.
Charms' Texte unterschieden sich allein der Form wegen sehr von den Vorstellungen der offiziellen literarischen Machtinhaber in den Anfangsjahren der Sowjetunion. Sein literarisches Schaffen, so entfernt dem Zeitgeschmack, in seiner spielerischen Art sehr frei, wurde den Behörden bald Dorn im Auge. Im April 1930 wurde OBERIU nach kommunistischer Zeitungskritik von der politischen Führung für staatsfeindlich erklärt und verboten. Charms wurde erstmals im Dezember 1931 verhaftet und im Frühjahr 1932 wegen „Beteiligung an einer antisowjetischen Vereinigung“ zu drei Jahren Verbannung nach Kursk verurteilt.
Nach seiner Rückkehr nach Leningrad (Sankt Petersburg) schreibt er kaum noch Gedichte, hauptsächlich Kurzerzählungen, die mal auch nur wenige Sätze lang sind, in denen er mit einer eher einfachen Sprache absurde Situationen beschreibt. Seine Prosastücke satirisch-grotesk zu nennen ist sicher richtig, aber es drückt kaum das aus, was Charms auszeichnet. Die reale Szenerie ist in einen Rahmen hineingesetzt, der unlogisch ist (es kann auch umgekehrt sein) und oft sehr komisch wirkt; manchmal „nur“ irrational und endet oft plötzlich mit einer nicht voraussehbaren Katastrophe. In den späteren Erzählungen wird der Inhalt etwas konkreter, der Bezug zu der schon genug absurden Realität ausgeprägter.
1941 wurde er zum zweiten Mal verhaftet und starb im Alter von nur 37 Jahren, wahrscheinlich am 2. Februar 1942, in einem Transportgefängnis, an Unterernährung.