Fotografie als Kunstform
Aktuelle Fotokunst sammeln! Eine Einführung
Fotografie als Kunstform sammeln, das hört sich erst einmal ein bisschen komisch an. Irgendwie sind wir sind doch selbst alle ganz passable Fotografen, denen immer wieder ästhetisch anspruchsvolle Bilder gelingen. Warum also Geld bezahlen für etwas, das man auch „homemade“ haben kann?
Meine eigene Fotosammlung (spezialisiert auf: alles, was mir gefällt) enthält ausnahmslos Arbeiten, die ich nicht selbst hätte herstellen können, auch nicht mit dem zufällig geglückten Sonntags-Shot. Ich war nicht wie Barbara Klemm am Tag nach der Maueröffnung in Berlin, um dort Willy Brandt in einer Traube von Menschen von oben zu fotografieren, und selbst wenn ich am gleichen Ort gewesen wäre, hätte ich wohl nicht das Gefühl für den richtigen Bildausschnitt gehabt. Ich habe nicht die Idee zu Hermann Försterlings „Es ist angerichtet“, diese phantasievolle Reizwäschepersiflage, vom Künstler perfekt inszeniert. Ich verfüge nicht über die Technik und die Fähigkeiten von Holger Luczak, digital in einem Bild den gleichen Menschen in mehreren Etappen seiner Bewegung abzubilden, sprich aus vielen Bildern eines zu machen, das irritiert, und so weiter.
Warum aber will ich diese Bilder im Original besitzen und begnüge mich nicht z.B. mit der Zeitungsseite, auf der das Klemm-Foto mal abgebildet war, ja, ich besitze es tatsächlich auch in Form mehrerer Katalogabbildungen! Die Gründe dafür sind die Faszination, die Aura und die Wertigkeit des Originals, die Kunst immer ausmachen, und das so fragile, verletzliche Originalfoto verlangt schon aus dieser Eigenschaft heraus hohen Respekt. Mir meine Fotosammlung anzusehen, bereitet auch deswegen besonderes Vergnügen, weil sich in der Vorsicht, die ich im Umgang mit den Artefakten („Nicht mit den Fingern drauf datschen!“) walten lassen muss, die Außergewöhnlichkeit der Objekte ausdrückt. Und nur auf dem Original sehe ich: wirklich alles.
Die Fotografie ist in ständiger Entwicklung, und das in einer Rasanz, dass man manchmal Probleme hat, den Veränderungen hinterherzukommen. War sie zunächst nach ihrer Erfindung im 19. Jahrhundert – teilweise inszeniertes – Abbild der Welt und löste damit Malerei und Zeichnung in dieser Aufgabe ab, so versuchten die Fotokünstler bald, mit technischen Experimenten die Bildmöglichkeiten zu erweitern: Doppelbelichtungen, Solarisation (Überbelichtung), bewusste Unschärfe usw.
Beim sogenannten Print, der in grauer Vorzeit mal „Abzug“ hieß, war über hundert Jahre lang der Barytabzug ohne Alternative: Eine Silbergelatine-Emulsion auf ein Stück Papier gestrichen machte dieses lichtempfindlich. Wenn das Negativ vor eine starke Lampe gespannt wurde, deren Strahl auf solch lichtempfindliches Papier fiel, konnte das Bild, in einer Entwicklerlösung gebadet, auf dem Papier sicht- und mit einem Fixierbad haltbar gemacht werden. Dass diese Technik, wenn sie sorgfältig angewendet wurde, ein Bild über mehrere Generationen bewahrt, ist erwiesen.
Die Erfindung der Farbfotografie, die sich ab der Mitte des 20. Jahrhunderts schnell ausbreitete und durch Verbilligung der Fotoapparate durch massenhaften Verkauf, verbunden mit einfacher Handhabung durch Automatisierung der Einstellungen („Agfa klick“), machte aus der Alltags-fotografie einen Volkssport, mit dem auch das Elend der „Dia-Abende“ begann. In der Fotokunst hielten Puristen daran fest, dass diese nur in Schwarzweiß ernst zu nehmen sei, denn hier bedarf es gestalterischer Fähigkeiten zur Modulation von Licht und Schatten. Glücklicherweise schert sich die Kunst nicht um Puristen.
Die Erfindung der digitalen Fotografie, die sich seit Anfang des 21. Jahrhunderts schnell durchsetzte, veränderte alles auf einen Schlag: Fast jeder Mensch hat in seinem Telefon eine Kamera, und diese Bilder lassen sich elektronisch in jeder beliebigen Weise nachbearbeiten bis zur Unkenntlichkeit der ursprünglichen Aufnahme. Die Foto-grafie hat ihre mögliche Rolle als Beweismittel von Wirklichkeit verloren. Und in der Fotokunst stellt sich die Frage: Was ist noch ein Original?
Vor nicht einmal 10 Jahren warf ich einem Fotokünstler, der seine Dunkelkammer ausrangiert hatte und seine analog fotografierten Negative einscannte, um sie nachzubearbeiten, vor, dass er Reproduktionen produziert. Er konterte, er habe früher auch mühselig in den Negativen weiße Punkte schwarz getuscht, nun könne er endlich seine Bilder am Rechner so perfektionieren, wie er sie ohne technische Beschränkung schon immer haben wollte.
Zähneknirschend musste ich zusehen, wie mir mein Begriff des Originals davonschwamm, wie Firmen wie „Lumas“ aus dem Nichts eine Kette von Fotoverkaufsstellen aufbauten, wo auf Knopfdruck „on demand“ digitale Fotoprints auch von analogen Vorlagen ausgedruckt und mit einem Signaturaufkleber versehen als Originale verkauft werden. Und Jahrhundertarbeiten wie Holger Trülzschs Bemalung von Veruschka Lehndorffs Körper, der sie als optische Täuschung mit der Landschaft verschmolz, völlig entwertet wurde, weil jetzt jeder dachte, das sei schnell mal am Rechner gemacht. Ähnlich geht es sicher auch Thomas Brenner, der seine Bilder in Zusammenarbeit mit einem Bildhauer oft mit 50 Statisten inszeniert – wer glaubt noch an solch einen Aufwand, wo man die Figuren doch auch billig einkopieren könnte?
Nach und nach habe ich die digitale Fotokunst akzeptiert, zumal inzwischen die Tinten lichtecht sind und hochbrillant drucken, auch wenn ich die Bezeichnungen „Fineart print“ oder „Gicléedruck“ als Euphemisierung des Tintenstrahldrucks, der es einfach ist, betrachte. Wer sich die Arbeit einer Künstlerin wie Tanja Ury ansieht, die sich in einem Bild in einer Verhörsituation selbst sowohl als Schergin wie auch deren Opfer inszeniert, oder Christiane Fesers Dorfstraßenbilder, in denen sie alle Fenster aus den Häuserfronten elektronisch getilgt hat, sieht, dass die digitale Fotografie der Kunst immens große neue Möglichkeiten bietet. Ein experimentierfreudiger Künstler wie Hermann Försterling geht gleich mit dem Scanner in den Garten und „fotografiert“ mit diesem seine Rosen – ein Projekt, das das Deutsche Fotomuseum Leipzig dieses Jahr von Mai bis August ausstellt.
Gefragt ist wie immer der eigene Standpunkt zur Kunst, die eigene Definition, was ein künstlerisches Original ist, und die Transparenz des Verkäufers in Fragen des Entstehungsprozesses. Der Vorteil vieler digitaler Prints ist, dass sie auf Bütten gedruckt werden und nicht mehr ganz so empfindlich sind wie die Barytdrucke – diese sollte man wegen unklarer Inhaltsstoffe von Druckfarben getrennt von Druckgrafiken und Inkjetprints aufbewahren.
Fotografie an die Wand? Ja, selbstverständlich. Bei vielen Menschen stehen ja über Jahrzehnte die Familienfotos unter Fensterglas gerahmt auf der Anrichte, ohne dass sie verblassen. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, kann das erschwingliche Mirogard-Museumglas von Schott, das wir auch von unserem Rahmenpartner Roggenkamp geliefert bekommen, verwenden, das bis zu 99-prozentigen UV-Lichtschutz verspricht. Wer eine Fotografie mit einem abstandhaltenden Passepartout versieht, das den Kontakt des Bildes mit der Glasscheibe ausschließt, kann das noch viel billigere Plexiglas benutzen, das einen 100-prozentigen UV-Schutz bietet. Preiswerte Passepartouts schneidet die Fa. Max Aab, die allerdings 9.50 EUR Versandkosten berechnet.
Text des 209. Frankfurter Grafikbriefes 2017