Das Künstlerplakat

Inbegriff für Brückenschlag und Grenzüberschreitung in der Bildenden Kunst

Ein Essay von Annette C. Dißlin


HAP Grieshaber, Andy Warhol, Pablo Picasso, Friedensreich Hundertwasser, Henri Toulouse-Lautrec, Max Bill, Joan Miró, Georges Braque – und die Brücke-Künstler: allen war es, zumindest zeitweise, Thema und künstlerische Herausforderung.

Vom Expressionismus bis zur Op Art, als Holzschnitt oder Siebdruck, klassisch oder provokant, in Auflagen von 200 oder 10.000 Exemplaren. Es scheint, als gäbe es keinen noch so kleinen gemeinsamen Nenner für das, was wir ein Künstlerplakat nennen. Und doch: Da ist einer. Was allen Künstlerplakaten gemeinsam ist: Stets überschreiten sie Grenzen, immer schaffen sie Verbindungen, schlagen Brücken zwischen Bereichen, die bis dahin als getrennt voneinander angesehen wurden.


Seine erste große Blüte feierte das Künstlerplakat in den späten 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Nahezu zeitgleich entdeckten die Großen der Klassischen Moderne – Picasso, Braque, Léger, Chagall – den Steindruck, also die Lithographie, und damit das Plakat für sich. Vor allem der experimentierfreudige Picasso lotete voller Energie Möglichkeiten und Weiterentwicklungen dieser originalgraphischen Technik aus.

Im Nachkriegsfrankreich sind zwei Unternehmen untrennbar mit dem Künstlerplakat verbunden: Die Druckerei der Gebrüder Mourlot, bei der viele Jahre lang praktisch alle Künstler von Rang und Namen ein- und ausgingen und ihre Künstlerplakate auf den Steindruckpressen dort produzierten bzw. produzieren ließen, und die Galerie Maeght, die die Tradition begründete, dass Künstler zu ihren eigenen Ausstellungen entsprechende Plakate entwarfen. Der Sohn des Galeriegründers hob später eine eigene Steindruckerei aus der Taufe, weitere Galerien in Paris, darunter Berggruen & Cie, griffen die Tradition des vom Künstler zu seiner eigenen Ausstellung selbst gestalteten Plakates auf. Die Druckgraphik selbst und das Künstlerplakat mit ihr boomte in den 60er Jahren.


Es hat auch schon vor dem zweiten Weltkrieg und im ausgehenden 19. Jahrhundert Künstlerplakate gegeben, allerdings nur vereinzelt. Lange Zeit wurde immer wieder die Forderung laut, die freie Kunst, und mit ihr die freie Graphik, habe vor allem in einer Hinsicht frei zu sein, nämlich frei jeglichen Zweckes. Damit wurde ein Graben ausgehoben, zwischen der zweckfreien Graphik auf der einen und der sogenannten Gebrauchsgraphik auf der anderen Seite.

Über diese tiefe Kluft haben die Künstlerplakate immer wieder neue Brücken geschlagen. Mit der Zeit wurden sie nicht nur für die Ausstellungen der Künstler entworfen, sondern nach und nach auch für andere kulturelle Veranstaltungen bis hin zu Serien zum Beispiel für die Olympischen Spiele in München 1972 oder für die Donaueschinger Musiktage.

Künstler wandten sich mit den von ihnen entworfenen Plakaten gegen Krieg, gegen Menschenrechtsverletzungen, gegen Umweltzerstörung. Das Plakat brachte die Kunst unter die Leute, es gab dem Künstler die Möglichkeit, die Grenzen der Galerien und Museen zu überschreiten und eine große Zahl von Menschen zu erreichen; es wurde zur „Kunst der Straße“. 


Andy Warhol und Friedensreich Hundertwasser haben, jeder auf seine ganz eigene Weise, mit ihren Plakaten die Grenze zwischen Original und Reproduktion verwischt. Für Warhol gab es die Idee des Originales gar nicht mehr, Hundertwasser nutzte die großen Auflagenhöhen des Siebdruckes, und machte alle Drucke der mitunter mehrere Tausend Exemplare umfassenden Auflage durch Signierstempel zum Original.

So manches Wirtschaftsunternehmen hatte den Mut, die Grenze zur Kunst zu überschreiten und bei Künstlern Plakatserien in Auftrag zu geben. So entstand eine bemerkenswerte Serie von Touristikplakaten für die Air France, gestaltet von Georges Mathieu, einem der bedeutendsten Maler in Frankreich um 1960.


In Deutschland haben seit den 50er Jahren allen voran HAP Grieshaber und Horst Jansen kontinuierlich Künstlerplakate geschaffen und damit den Weg geebnet für den großen Aufschwung, den diese Kunstgattung im Europa der 70er nahm. Speziell an den Plakaten dieser beiden Künstler wird eine weitere Grenze sichtbar, die in und mit diesem Genre immer wieder überschritten wurde.

Grieshaber nutzte, für den gelernten Schriftsetzer lag dies nahe, gerne Satzschriften, also Buchdrucklettern für die Texte auf seinen Plakaten. Jansen setzte seine charakteristischen Handschriftzüge ein.

Henri Matisse hat sogar in seinen Plakaten mitunter beim Text auf seine Technik der Papiers découpés zurückgegriffen und die Buchstaben aus gefärbten Papieren ausgeschnitten. In allen Fällen bleibt jedoch die Forderung erfüllt, die an das Künstlerplakat immer wieder gestellt wurde: dass nämlich sowohl Text als auch Bild vom Künstler selbst gestaltet sein soll.

Jan Tschichold, einer der großen und strengen Typographen des 20. Jahrhunderts, war der Ansicht, der ‚Strich‘ des Künstlers sei nichts als eine überflüssige, dem Zweck schädliche Belästigung des Publikums. Hier wird die strikte Forderung aufgestellt, dass die Handschrift des Entwerfers die zu übermittelnde Botschaft nicht stören dürfe.

Auch diese Grenze haben Künstler mit ihren Plakaten immer wieder überschritten und mit ihrem auf den ersten Blick erkennbaren ganz persönlichen Stil Botschaften so gut oder noch besser übermittelt. Beim Thema Künstlerplakat wird also einmal mehr deutlich, dass harte Grenzziehungen und eng gefasste Definitionen innerhalb der Kunst durchaus ihre Problematik haben können.

Quellen: 
Jürgen Döring: Künstlerplakate - Picasso, Warhol, Beuys ... Herausgegeben vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg zur Ausstellung vom 19. März bis 10. Mai 1998

 Künstlerplakate: Frankreich/USA Zweite Hälfte 20. Jahrhundert. Hans Wichmann, Florian Hufnagl, unter Mitw. von Corinna Rösner.-Basel; Boston; Berlin: Birkhäuser, 1991 ( Industrial design - graphic design; Bd. 10) ISBN 3-7643-2563-1

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