Reinhard Stangl

Nur wenige wissen noch, dass Stangl 1995 zusammen mit Christine Jackob-Marks, Hella Rolfes und Hans Scheib beim offenen künstlerischen Wettbewerb für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin den ersten Preis gewonnen hat. Eine Jury unter Vorsitz von Walter Jens kürte – aus 528 Wettbewerbsbeiträgen ausgewählt – deren Konzept, das eine 100 mal 100 Meter große ansteigende Platte aus anthrazitfarbenem Beton vorsah, auf der 18 Gesteinsbrocken, bis zu vier Meter hoch, verteilt werden sollten. Auf dieser überdimensionalen, begehbaren Grabplatte sollten die Namen von 4,2 Millionen jüdischen Holocaust-Opfern verzeichnet werden. 
Selbstherrlich cancelte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl die Realisierung dieses Entwurfs und brachte damit das von dem Historiker Eberhard Jäckel angestoßene und von der Publizistin Lea Rosh vorangetriebene Projekt fast zum Scheitern. In einem neuen Wettbewerb 1997 wurde dann der heute hinter dem Hotel Adlon am Brandenburger Tor zu sehende Entwurf von Peter Eisenman ausgewählt. Ich habe von Reinhard Stangl nie ein Wort der Beschwerde über diese Kohlsche Unverschämtheit gehört…
Von 1972 bis 1977 hatte Stangl ein Studium der Malerei an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden absolviert und anschließend als freischaffender Maler in Ostberlin gearbeitet, bis er 1980 nach Berlin Kreuzberg umsiedelte. Was heute leicht in einen Halbsatz zu fassen ist, war in der Realität ein jahrelanger zermürbender Kleinkrieg mit den DDR-Behörden. Auch darüber habe ich ihn nie klagen gehört. Die erkämpfte Freiheit nutzte er bis 1983 zu ausgiebigen Reisen durch die ganze Welt.
1986 gewann er ein Arbeitsstipendium des Berliner Senators für Kulturelle Angelegenheiten. 1987 brachte ihm eine Gemeinschaftsausstellung mit den bis dato in der BRD auch noch weitgehend unbekannten, aus der DDR ausgebürgerten Künstlern Helge Leiberg, Hans Scheib, Cornelia Schleime und Ralf Kerbach im Berliner Haus am Waldsee den Durchbruch. Das Fernsehen berichtete ausführlich über die expressive Malweise der vom Genius Loci Dresdens geprägten Künstler, die in veritablen Farbgewittern daherkam.
1989 war Reinhard Stangl Mitbegründer der 1. Berliner Sommerakademie, erhielt 1990 eine Gastprofessur an der Hochschule der Bildenden Künste, Berlin und 1992 das Stipendium Villa Serpentara, Rom. 1983 Gastprofessur bei Pentiment an der Hochschule für Gestaltung, Hamburg. 1994 wurde er von der unabhängigen internationalen Denkfabrik Aspen Institute zu einer Konferenz über Kunst und Politik nach Colorado/USA eingeladen, 1995 zum gleichen Thema zur Berliner Konferenz. Auch auf der Konferenz Cultural Policies in Europe in Wien 1998 war er als Experte gefragt.
2005 reiste er zu einem ersten mehrmonatiger Arbeitsaufenthalt nach Brasilien, den er mit einer Ausstellung in Sao Paolo abschloss. 2007 erneute Reise an den Amazonas, 2010 verbrachte er ein halbes Jahr in Amerika.
Künstlerisches Pathos ist ihm fremd – zwischendurch organsierte der bekennende Großstadtbürger mit der Paris Bar ein (später als Buch erschienenes) Projekt, für das 52 Schriftsteller ihren Lieblingscocktail beschrieben und 52 Bildende Künstler einen solchen malten. Er engagiert sich für die Präsentation von Kunst auf dem flachen Land wie in der Stadt, ist Vorsitzender des Kunstfördervereins Kunsthalle Luckenwalde und war 2006 bis 2008 Vorsitzen-der des Vereins Kulturpark Berlin.
Er selbst fasst seinen Lebenslauf in viel weniger Worte: „Geboren in schwierigen Zeiten, trotz vieler Mahnungen Maler geworden und nicht Künstler... Viel zu viele Ausstellungen in zu vielen Ländern, lebt er am liebsten in Berlin und beneidet niemand um nichts. Ist produktiv und hat Ideen. Liebt u.a. auch Landschaften, Bars und Städte bei Nacht...“