Frans Masereel
1889 - 1972
Mal ganz schnell, ohne nachzudenken: Welche Nationalität hatte Masereel? Er sprach u. a. Deutsch, Französisch, Russisch und Englisch, lebte in Paris, Tunis, Genf, Saarbrücken, Nizza, Avignon und wechselte sogar nach seinem Tod noch einmal das Land – sein Grab befindet sich in seiner Heimatstadt Gent. 1929 schreibt er, nach Rückerhalt eines belgischen Passes, an Romain Rolland: „Sie wissen, dass ich keine patriotische Ader habe. Das ‚Vaterland’, ich habe es in mir, es begleitet mich überall.“ Er hat durch seine Internationalität erfolgreich seine nationale Herkunft verwischt.
Frans Masereel wird 1889 in Blankenberghe an der belgischen Küste als Sohn einer recht begüterten Familie geboren, die 1896 nach Gent zieht. Dort beginnt er mit achtzehn Jahren an der École des Beaux-Arts in der Klasse von Jean Delvin sein Kunststudium, doch Delvin selbst rät ihm schon nach zwei Jahren, die Schule zu verlassen, weil für ihn dort nichts mehr zu lernen sei ...
1909 unternimmt er Reisen nach England und Deutsch-land, die ihn zu ersten Radierungen und Holzschnitten inspirieren. 1911 verbringt der Künstler den größten Teil des Jahres in Tunesien, wo er sich der Malerei widmet, danach lässt er sich für vier Jahre in Paris nieder. Dort entstehen ab 1915, beeinflusst vom deutschen Expressionismus, große Holzschnittfolgen wie „Passion eines Menschen“, „Mein Stundenbuch“, „Die Sonne“ und „Die Idee“, meist sozialkritischen Inhalts, die ihn schnell international bekanntmachen.
1916 emigriert der engagierte Pazifist in die Schweiz, wo er für das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und für verschiedene Zeitungen als Grafiker tätig ist. In dieser Zeit schafft Masereel auch Illustrationen zu Werken von Thomas Mann, Emile Zola, Romain Rolland, Stefan Zweig und vielen anderen Autoren, die heute zur Weltliteratur zählen.
Mit den Autoren verbindet ihn auch oft persönliche Freundschaft.
Stefan Zweig schreibt am 2. Dezember 1917 in seinem Tagebuch: „Morgens zu Masereel, der mir sehr gefällt, immer besser eigentlich von Stunde zu Stunde. Wie er lachen kann! Wie sein gutmütiges flandrisches Gesicht doch voll Kraft ist… Ich sehe seine Arbeiten und bin frappiert wie schon lange nicht. Die Serie „Les Villes“ (…) gehört zum Großartigsten, das ich jemals sah. Die ganze Stadt, aber wirklich die ganze mit ihrer ungeheuren Dynamik, ihrer Geschwindigkeit, ihrer gemeinen Geste in tausend Formen. Eine Vibration, die unerhört ist …“
1921 kehrt der Künstler nach Paris zurück, wo seine berühmten Straßenszenen, die Montmartre-Bilder, entstehen. Dort bekommt er Besuch u.a. von George Grosz, von Conrad Felixmüller und von dem russischen Autor Lunatscharski, der seit 1917 auch Volkskommissar für das Bildungswesen der UdSSR ist. Er ist begeistert von den Arbeiten Masereels und drängt ihn, nach Rußland zu kommen, um dort zu unterrichten. Das war zwar Masereels Sache nicht, aus der Begegnung folgen jedoch eine große Ausstellung in Moskau 1930 und mehrmonatige Aufenthalte des Künstlers in der UdSSR.
1926 schreibt Thomas Mann, der Max Beckmann begeistert von Masereels Holzschnitten berichtet, ein Vorwort zu seinem „Stundenbuch“, Hermann Hesse übernimmt das Vorwort zu „Die Idee“ (1927). 1928 gibt es eine große Masereel-Ausstellung im Leipziger Kunstverein, 1929 in der Städtischen Kunsthalle Mannheim die erste umfassende Ausstellung des Werkes, von dem Erich Knauf, Autor und Lektor der Büchergilde, 1928 in seinem Buch „Empörung und Gestaltung“ schreibt, dass es mehr als 10.000 Holzschnitte umfasse. Und weiter:
„Er ist kein Parteimensch, er illustriert nicht die politische Tagesgeschichte. Immer zeichnet er die Passion eines Menschen, träumerische Sonnenfahrt oder den Weg durch Qual, Rebellion und Martyrium. Immer ist Masereels Kunst soziale Kunst.“
Das blieb den Nazis, die Erich Knauf 1944 hinrichteten, nicht verborgen: 1938 werden die Arbeiten Masereels in deutschen Museen beschlagnahmt und seine Bücher verboten. Derweil stattet dieser 1939 eine Aufführung der Szenenfolge „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ von Bertolt Brecht in Paris mit Bühnenbildern und Dekorationen aus. 1940 aber muss er mit seiner Frau vor den anrückenden deutschen Truppen zu Fuß aus Paris fliehen. In Avignon schließlich finden sie Unterschlupf, bis sie 1943 auch dort ihres Lebens nicht mehr sicher sind und unter falschem Namen in Lausson im Département Lot et Garonne unterkommen.
Wenn wir heute die dürren Lebensdaten der Emigrierten und Davongekommenen lesen, dann fehlt da meist das (informelle) Fleisch: Antwort auf die Frage: „Von was haben die bloß gelebt?“ Ich muss Ihnen das entsprechende Info-Schnitzel leider auch schuldig bleiben, ich habe es (noch) nicht herausbekommen und wüsste es gern. Gut ging es dem Ehepaar Masereel nicht. Und so ist seine Abneigung gehen das Lehren auch geschrumpft, als er 1947 von seinem Freund Henry Gowa, der die neu gegründete „Staatliche Schule für Kunst und Handwerk“ in Saarbrücken leitet, einen Lehrauftrag zur Unterrichtung der Meisterklasse angeboten bekommt, den er bis 1951 – ab 1949 schon in Nizza lebend – ausübt.
Nur zur Erinnerung: Das Saarland war bis 1955 ein autonomes Land, eine Art Protektorat der Franzosen und wirtschaftlich an Frankreich angeschlossen. Immerhin verdankt sich dieser Lebensspanne Masereels die Existenz der 1987 gegründeten deutschen Frans-Masereel-Stiftung, die uns diese Ausstellung und die artclub-Nachlass-Drucke realisieren half.
Auch aus Ostberlin kommt 1947 ein Lehrangebot für eine Meisterklasse, übermittelt vom Maler Herbert Sandberg, aus den drei Westzonen der späteren BRD kommt nichts. Dafür wird Masereel jetzt weltweit geehrt und ausgestellt: 1950 erhält er den „Internationalen Großen Preis für Graphik“ der Biennale von Venedig; 1953 wird er in Zürich zum ersten Präsidenten der von ihm mitbegründeten Internationalen Vereinigung der Holzschneider XYLON gewählt; 1952 bis 57 künstlerischer Austausch und Gemeinschaftsausstellungen mit Pablo Picasso; 1958 reist er für zwei Monate in die Volksrepublik China, wo seine Arbeiten in Ausstellungen in Peking, Shanghai und Wuhan gezeigt werden und er erfährt, dass seine Holzschnitt-Romane in China bekannt und populär sind. Große Resonanz gibt es aber auch auf Ausstellungen in New York – und endlich 1960 in der Paulskirche in Frankfurt am Main.
Nach dem Tod seiner Frau Pauline 1968 heiratet der 80-Jährige 1969 seine langjährige Schülerin Laure Maclès, die auch sein Modell war und von der zwei Lithografien in der Ausstellung zu sehen sind. Mit ihr zieht er wieder nach Avignon, wo er am 3. Januar 1972 stirbt.
Masereel gehört zu den bedeutenden Künstlern des 20. Jahrhunderts, die ihre Kunst als Teil emanzipatorischen, pazifistischen und nach sozialer Gerechtigkeit strebenden Engagements verstanden, so wie – als wohl bekanntestes Beispiel – Picasso nach der Bombardierung Guernicas seinen Pinsel nicht ‚schweigen’ lassen konnte. Masereels formal strenge, klare und auf schwarz und weiß konzentrierte Holzschnitte behalten auf geradezu mystische Weise ihre Modernität – seine Inhalte leider auch.
Ich habe etliche Jahre auf diese Ausstellung hingearbeitet (ein profunder Nachlass hat geholfen), wie Sie dem reichhaltigen Angebot vor allem auch signierter Bücher entnehmen können, denn der Illustration, dem Buch gehörte Masereels ganze Liebe. Bei Masereel gibt oft keines der drei existierenden Werkverzeichnisse Auskunft, ob ein Buch-Holzschnitt vom Original-Druckstock oder vom Klischee gedruckt ist, das ist ununterscheidbar.
Deswegen spreche ich hier immer nur dann von Original-Holzschnitten, wenn dies im Buch selbst angegeben ist, was nicht ausschließt, dass vor allem die Bücher aus den Zwanzigerjahren auch von den Stöcken gedruckt wurden.
In Zusammenarbeit mit der Frans-Masereel-Stiftung Saar-brücken versucht die Büchergilde, die immer nur in sehr kleinen Auflagen erschienenen größeren Holzschnitte Masereels wieder zugänglich zu machen.
Diese sind mit einem Zertifikat der Stiftung versehen, dass sie von den Original-Druckstöcken gedruckt wurden. Dies, wie es bei uns Programm ist, zu erschwinglichen Preisen – z. B. bei einer Auflage von 20 Expl. EUR 128.- Nur zum Vergleich: Das Auktionshaus Ketterer hat aktuell zusammen mit dem Brücke-Museum 5 Holzschnitte von Schmidt-Rottluff nach-gedruckt, Auflage je 50 Expl., vom Drucker signiert (geht’s noch?), zum Preis von je 2.900 EUR. Als der liebe Gott die Unverfrorenheit verteilt hat, war ich wohl leider grad auf einem Atelier-Besuch…
In unserer Ausstellung sind weitere Bücher, auch aus der privaten Bibliothek von Masereel, die ihm die Autoren zugeeignet haben, zu sehen, sowie signierte und auch alte nicht signierte Holzschnitte.