Gisela Mott-Dreizler

Die bunte Eminenz*

Selten waren unsere Haupt- und die Kabinettausstellung so eng miteinander verwoben wie in diesem Fall: Denn die Künstlerin Gisela Mott-Dreizler und der Drucker und Co-Verleger des „Verlags für Buchkunst Quetsche“, Reinhard Scheuble, waren von 1984 bis zu Scheubles Tod im Jahr 2020 ein kongeniales Buchkunst-Paar, das sich, wie sollte es anders sein, beim Drucken von Grafik im Berliner Künstlerhaus Bethanien kennenlernte. Ohne diese Verbindung hätte es möglicherweise die „Quetsche“ so gar nicht gegeben, denn allein 19 der ersten 50 Drucke des „Verlags für Buchkunst“ waren mit Orig.-Grafiken von Mott-Dreizler illustriert (und drei weitere von ihrer Tochter aus erster Ehe, Hanna Mott ...).




Gisela Mott-Dreizler wurde 1941 kriegsfolgenbedingt in Riesa geboren, verbrachte ihre Jugend aber in Düsseldorf. Von 1960 bis 63 studierte sie an der Kunstakademie Karlsruhe bei Prof. Meyboden, und von 1963 bis 69 an der Hochschule für Bildende Künste, Berlin, wo sie Meisterschülerin von Prof. Friedrich Stabenau, einem exzellenten Druckgrafiker, war. Ab 1970 lebte sie als freischaffende Künstlerin in Berlin, unterbrochen von einem dreijährigen Studienaufenthalt von 1971 bis 73 in Mexiko. 

Ende der 1970er-Jahre wollten die Künstlerin und ihr erster, früh verstorbener Mann raus aus den beengten Westberliner Verhältnissen, mussten aber weit weg, um ein für sie erschwingliches Anwesen zu finden. Dass der kleine nordfriesische Ort, in dem sie fündig wurden, „Witzwort“ hieß, sollte sich später als günstige Wort-Marke für den Sitz der „Quetsche“ erweisen. Das Haus war allerdings zunächst für viele Jahre eine einzige Eigenbaustelle, die zunächst von Berlin, später von Frankfurt/ Main aus hauptsächlich zu Arbeitseinsätzen angesteuert wurde.



Die Beziehung mit Reinhard Scheuble brachte den Umzug von Berlin nach Frankfurt mit sich, als dieser ab 1989 dort als Leiter der Druckwerkstätten der Kunsthochschule Städel tätig war. Aus dieser Zeit stammt die Verbindung Mott-Dreizlers zur Büchergilde, in deren Grafik-Edition mehrere hochkomplexe Druckgrafiken der Künstlerin erschienen (siehe unten), und auch meine Bekanntschaft mit Gisela Mott-Dreizler und Reinhard Scheuble, der mir etliche Druckvorführungen für Büchergilde-Mitglieder ermöglichte. 

1993 war das alte Haus in Witzwort so weit fertig, dass die Künstlerin mit ihren beiden Töchtern einziehen konnte, ihre dritte Tochter wurde dort geboren. Zwei Jahre später wagte Reinhard Scheuble den Abschied vom festen Einkommen, gab die Stelle am Städel auf und zog mit der Quetsche ebenfalls nach Witzwort, wo nun in ländlicher Abgeschiedenheit Pressendruck auf Pressendruck entstand. 2002 wurden beide mit dem Theodor-Storm-Preis der Stadt Husum für das Buch „Pole Poppenspäler“ ausgezeichnet. 2005 bestellte die Kirche in Witzwort einen großformatigen Holzschnitt bei Gisela Mott-Dreizler, es gibt eben auch Orte, wo die Prophetin im eigenen Land etwas gilt.



Die Malerin und exzellente Druckgrafikerin Mott-Dreizler muss aber auch andernorts noch entdeckt werden. Was zunächst ein bisschen absurd klingt, lässt sich aus der Struktur ihrer künstlerischen Arbeit erklären: Sichtbar gemacht wurde ihre Druckgrafik im doppelten Wortsinn durch Reinhard Scheuble, der sie druckte und verkaufte und ein unermüdlicher Propagandist der Quetsche-Bücher war – an seinen Buchmesse-Ständen kam niemand unangesprochen vorbei.

Wahrgenommen wird das Buch, vor allem der Pressendruck, aber als Gesamtkunstwerk aus Text, Grafiken, Typografie, feinem Bütten, edler Bindung von Hand. Niemand hängt sich, so gern man es manchmal möchte, ein aufgeklapptes Buch an die Wand, um mit dem entsprechenden Bild zu leben.
So geriet die Wahrnehmung der „freien“ künstlerischen Arbeit Mott-Dreizlers ins Hintertreffen, dabei: Sieht man die unglaublich farbigen, oft mit experimentellen Innovationen erzielten Bilder in den Büchern, liegt es doch so nah, dass es sich hier um die druckgrafische Arbeit einer Ausnahmekünstlerin handelt, die auch unabhängig von literarischen Vorlagen mit ihrer Kunst etwas zu sagen hat. Dem wollen wir mit unserer Ausstellung Raum geben – ihre Bücher zeigen wir aber natürlich auch!

* Die treffende Bezeichnung "Bunte Eminenz" für die Künstlerin prägte der Schriftsteller Heiner Egge