Über riesige Farbholzschnitte
Über das Drucken größtmöglicher Farbholzschnitte in der Presse - zu den entsprechenden Holzschnittserien von Franziska Neubert und Petra Schuppenhauer
Die Rixdorfer druckten – mehr als Happening – schon mal einen sehr, sehr großen Holzschnitt mit der Dampfwalze. Der in Berlin lebende Thomas Kilpper (*1956 in Stuttgart) ist dafür bekannt, Fußböden zumeist leerstehender Gebäude zu großformatigen Druckstöcke umzuwidmen ...
In beiden Fällen entstehen schnitttechnisch einfache Schwarzweiß-Drucke. Die Kölner Holzschnitt-Kunstmarktstars Gert und Uwe Tobias (beide *1973 in Kronstadt) drucken auch mal 2 x 2 m-Formate in mehreren Farben. Das sind aber von Hand abgeriebene Unikate (oder „Duokate“)
Die beiden in Leipzig lebenden Künstlerinnen Franziska Neubert und Petra Schuppenhauer haben es sich zur Aufgabe gemacht, den vielfarbigen Auflagendruck in neue Dimensionen zu heben. Und das in nachgerade fotorealistischer Perfektion, in 7 bis 10 Druckgängen – bei einem Format von 140 x 100 cm! (Da braucht’s schon die ganze Wand über der Couch…)
Die erste hohe Hürde bei einem solchen Vorhaben ist, ist, dass kein Künstler eine so große Druckpresse im Atelier stehen hat. So ist es wohl kein Zufall, dass solche Arbeiten in Leipzig mit seiner großen Druck- und Grafiktradition entstehen. In der „Baumwoll-Spinnerei“, einem riesigen früheren Textilfabrik-Areal, in dem sich nach der Produktionseinstellung 1989 zahlreiche Künstler und Galerien angesiedelt haben, hat der Künstler Thomas Siemon 2002 eine Druckgrafikwerkstatt eröffnet, die u.a. auch den „Lubok“ druckt. Er verfügt über eine Andruckpresse im außergewöhnlichen Format von 100 x 140 cm. Hierher schleppen die beiden Künstlerinnen ihre 130 x 90 cm großen hölzernen Druckstöcke. Und das nicht ein-, sondern sieben bis zehn Mal für jede Grafik.
Warum denn das? Weil sie in der Technik der „verlorenen Form“ arbeiten. Jahrhundertelang wurden für mehrfarbige Holzschnitte mehrere Druckplatten geschnitten, für jede Farbe eine, die nacheinander gedruckt wurden. Pablo Picasso entwickelte in der 1950er Jahren dann eine neue Technik, in der im ersten Schritt aus einer Platte alles herausgeschnitten wurde, was zum Schluss weiß bleiben sollte, dieser Zustand wurde dann, sagen wir mal, in Blau mit den weißen bleibenden Aussparungen, gedruckt.
Wenn nun an der gleichen Druckplatte weitergeschnitten und dieser nächste Zustand in Rot auf das schon mit Blau bedruckte Blatt gedruckt wird, bleibt vom Blau nur noch das sichtbar, was soeben aus der Platte herausgeschnitten wurde. Es ist so „trocken“ nur schwer zu verstehen, deshalb haben wir unter „Themen: Drucktechniken“ die Abfolge anhand einer Grafik von Klaus Süß dokumentiert.
Viele Holzschnitt-Künstler/innen arbeiten inzwischen in dieser Technik, die, wie man sich vorstellen kann, ein ungeheures Maß an Planung und Abstraktionsvermögen erfordert – so wie etwa bei der Hinterglasmalerei, wo der Künstler ja auch zuerst die kleinen Farbtupfer auf die Glasplatte auftragen muss, die normalerweise in der Malerei ganz zum Schluss die Tüpfelchen auf dem i wären.
Warum dieser Aufwand, wenn man doch das Gleiche mit mehreren Druckplatten erreichen könnte, und noch dazu den Vorteil hätte, nicht die ganze Auflage auf einmal drucken zu müssen – bei der Technik der verlorenen Form ist das ja nicht möglich, alle Formen der ersten Druckdurchgänge sind weggeschnitten, mithin „verloren“? Petra Schuppenhauer erklärt, dass diese Technik ungleich größere Präzision ermöglicht, die Farbübergänge und -kanten passen perfekter, wenn die Druckplatte beim zweiten Druckdurchgang hundertprozentig so eingerichtet wird, wie sie beim ersten Mal in der Presse lag. Wie groß der Ausschuss durch das „Verrutschen“ sei? „Wir fangen mit 20 Exemplaren an, und zum Schluss haben wir etwa 7 bis 10 gute Exemplare.“
Und wieder die Frage nach der Notwendigkeit dieses großen Aufwands: Wer große Bilder schaffen will, muss sich doch nicht mit den immensen Widerständen einer Druck-grafik rumplagen, soll er/sie doch das große Papier nehmen und einfach drauf malen! Das ginge wohl, wäre aber etwas gänzlich anderes. Jeder Inhalt will seine eigene künstlerische Form, seine eigene Technik – die macht es (mit) aus, dass ein Kunstwerk nicht beliebig ist.
Petra Schuppenhauer begann die Arbeit an den großen Formaten nach einer Großsegler-Antarktisreise 2017: „Nachdem ich diese Landschaft erlebt hatte, wusste ich: Es geht nicht kleiner. Die Frage, in welcher Größe man etwas auf das Papier bringt, ist wichtig für das Motiv. … Wenn man sich die Bilder im DIN-A-4-Format vorstellt, wäre das nicht adäquat“.
Für die Künstlerinnen geht es aber sicher auch darum, sich selbst immer wieder aufs Äußerste herauszufordern, sich immer weiter zu entwickeln und auszuprobieren. Und last not least nachzuweisen, dass Druckgrafik keine Grenzen kennt.
Franziska Neubert (*1977 in Leipzig) und Petra Schuppenhauer (*1975 in Hamburg) haben beide an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig u.a. bei den Professoren Volker Pfüller und Thomas M. Müller studiert. 2009 gründeten sie zusammen mit 6 weiteren Künstlerinnen die Gruppe augen:falter. Die Aufzählung ihrer Auszeichnungen, Stipendien, Ausstellungen und Ankäufe durch Museen und Institutionen würde diesen Rahmen hier sprengen.