Alfred Pohl
Als das Museum of Modern Art New York (MoMa) in den früheren 1970er-Jahren eine sehr große Zeichnung von Alfred Pohl ankaufte, tat es dies in der Annahme, die Arbeit eines peruanischen Künstlers zu erwerben. Und genau betrachtet ist da sogar etwas dran, denn sein wirkliches Coming-out als Künstler mit einer eigenen, unverwechselbaren Handschrift hatte Alfred Pohl, als er 1967 nach Peru ging und von den Farben der Landschaft, besonders der Sierra Peruana, der peruanischen Wüste, und den künstlerischen Formen des indigenen Bevölkerungsteils Perus so überwältigt war, dass er wie im Rausch diese inneren Bilder zu Papier bringen musste – als Farbholzschnitte in der Technik der verlorenen Form ...
Bis dahin war es ein weiter Weg gewesen: Pohl wurde 1928 in Essen in eine bürgerlich-katholische Familie geboren, die gegen Sympathie mit dem Naziterror immun war. Pohls Vater, ein Architekt, der zu seinem Fortkommen in Rheydt, wo die Familie seit 1935 lebte, hätte Parteimitglied werden müssen, wich nach Trier aus. Dort besuchte Alfred Pohl, nachdem er als 17-Jähriger die Schule ohne Abitur verlassen hatte, ab 1946 zwei Jahre lang die Werkkunstschule. Da ihm aber schon als Kind, das den Wunsch hatte, Maler zu werden, eingetrichtert worden war, dass das leider nicht ginge, weil man damit keinen Lebensunterhalt verdienen könne, absolvierte er eine Ausbildung zum Tierpräparator an der Hochschule in Göttingen.
Über einige Umwege gelangte Pohl in die Erwachsenenbildung, baute in Frankfurt/Main den entsprechenden Zweig der Volkshochschule auf und kam nach Bestehen einer Aufnahmeprüfung doch noch zu einem Studium, an der Pädagogischen Hochschule Lüneburg, dem weitere künstlerische Ausbildungen an der Werkkunstschule Hannover sowie im Atelier des Radierers Jonny Friedländer in Paris folgten. 1964 hatte er seine erste Einzelausstellung – bei der berühmten Galerie Hanna Bekker vom Rath in Frankfurt, die im Farbholzschnitt tätige Künstler förderte, z.B. auch den aus Ungarn geflüchteten Fekete.
Zwischendurch war Pohl als Assistent für Kunsterziehung an der Pädagogischen Hochschule Göttingen tätig gewesen und seine Lehrbefähigung zur Kunsterziehung nutzte er nun, um mit seiner Familie ins Ausland zu gehen. Für drei Jahre lebte er in Lima, bereiste aber den gesamten Kontinent, freundete sich mit dem in Bahia/Brasilien lebenden deutschen Holzschneider Hansen-Bahia sowie zahlreichen südamerikanischen Künstlern an und hatte Ausstellungen in Lima und Sao Paulo. Nach einem familiär bedingten Intermezzo in Deutschland kehrte Pohl nach Südamerika zurück, dieses Mal ging er für zwei Jahre nach Bogota/Kolumbien, stellte u.a. in Lima/ Peru, Quito/ Ecuador, La Paz/Bolivien und in Santiago de Chile aus.
Ab 1974 lebte und arbeitete Pohl in Göttingen und schuf ein gigantisches druckgrafisches Werk, vor allem im Farbholzschnitt, später aber auch in der Farbradierung, das heute komplett nur im Rheinischen Landesmuseum Bonn vorhanden ist. Pohl folgte ein Leben lang dem elterlichen Ratschlag, nicht auf einen Lebensunterhalt aus der Kunst zu setzen, und gab das Unterrichten nie auf. So verschaffte er sich eine umfassende künstlerische Unabhängigkeit, die ihm erlaubte, kompromisslos und frei von Marktanforderungen den eigenen bildnerischen Weg zu gehen.
Genau genommen hat es in Deutschland in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts nur vier große Künstler des Farbholzschnitts gegeben: den 1909 geborenen Grieshaber, die überragende Künstlerpersönlichkeit, von dem Pohl sagte, dass es ohne Grieshaber wohl auch keinen Pohl gegeben hätte, den 1924 in Budapest geborenen Fekete, Gerhard Altenbourg (*1926) und eben Alfred Pohl.
All diese vier verbindet, dass sie sich in ihrem Werk auf den Farbholzschnitt konzentriert haben (bei Altenbourg dominiert vielleicht die Zeichnung) und dass sie völlig eigenständige künstlerische Handschriften ausdifferenziert haben, die sofort zuordenbar sind, was in dem bis dahin vom Expressionismus geprägten Medium völlig neu war.
Und was seit den 1980er-Jahren, nach Grieshabers Tod, für die nächste Generation mit Klaus Süß, Frank Eißner, Uta Zaumseil, Peter Zaumseil, Franziska Neubert, Petra Schuppenhauer und viele andere selbstverständlich wurde.
Holzschneider-Zeitgenossen der großen Vier wie Hansen-Bahia, die Rixdorfer, Kurt Mühlenhaupt oder Wolfgang Mattheuer konzentrierten sich auf den Schwarzweiß-Holzschnitt (oder Linolschnitt).
Dies ist allerdings auch bei Alfred Pohl die dominierende Technik für die zahlreichen originalgrafischen Buchillustrationen, die der Künstler schuf, nicht zufällig als Erstes für V.O. Stomps‘ Eremiten Presse, vieles für die Pfaffen-weiler Presse, den Thomas Reche Verlag, Erich Fitzbauers Edition Graphischer Zirkel Wien und so weiter. Eine Ausnahme ist das von ihm selbst verlegte Buch „Wüstenbilder“, das mehrere Farbholzschnitte enthält und eigene Texte. Denn schreiben konnte er auch, er hatte vor der endgültigen Entscheidung, bildender Künstler zu werden, einige Romane verfasst, aber nicht veröffentlicht, obwohl er sie auch zeitlebens nicht verworfen hat.
Alfred Pohl war das große Glück beschieden, zusammen mit seiner Frau Annemarie, mit der er seit 1955 verheiratet, war, von Krankheit weitgehend unbeeinträchtigt im eigenen Haus und dem dort befindlichen Atelier alt zu werden. Er starb im Februar 2019 wenige Monate nach seiner Frau im Alter von 90 Jahren. Schon da hatten wir diese Ausstellung mit Alfred Pohls Familie vereinbart – und das ist ein großes Glück, denn wir können vor allem auch sehr frühe Farbholzschnitte aus den 1970er-Jahren zeigen, die in Auflagen von meist nur 5 bis 7 Exemplaren von Pohl von Hand gedruckt sind, und von Hand heißt bei ihm: mit einem Löffel von den Druckplatten abgerieben! Meist handelt es sich um die jeweils letzten Exemplare der kleinen Auflagen.
Zum ersten Mal überhaupt zeigen wir Aquarelle des Künstlers, wunderbar leichte, von mediterranem Licht durchflutete Kleinode, deren sparsame Farbgebung dem Auge der Betrachtenden viel Freiheit lässt, die Landschaft im eigenen Sinne zu ergänzen – das ist der Respekt des Künstlers vor seinen Rezipienten, denen er zutraut, zu sehen.