Interview mit Felix Scheinberger
Belletristik fragt Felix Scheinberger:
Felix Scheinberger, neben Ihrem Beruf als Zeichner und Illustrator lehren Sie auch Illustration. Haben Sie etwas, das Sie Ihren Studierenden außer handwerklichen Fähigkeiten mitgeben möchten?
Ich kann das anhand eines Beispiels beantworten: Im vergangenen Semester haben wir mit Studierenden eine Exkursion nach Istanbul unternommen. Ich habe diese Reise mit dem Fotografie-Professor unseres Fachbereiches, Stefan Enders, geplant und wir haben sie bewusst als medienübergreifende Zusammenarbeit von Illustratoren, Zeichnern und Fotografen konzipiert.
Es ging uns darum, Bilder zu schaffen, die einer Wirklichkeit gerecht werden und die nicht als bloße Zitate von vorhandenen Bildern darherkommen sollten.
Dass die Studierenden sich von der Vorstellung entfernen wie etwas auszusehen hat, dass Sie sich Ihres Mediums bedienen, die Wirklichkeit wahrzunehmen und festzuhalten. Wir haben Istanbul gewählt, weil es eine Schnittstelle zwischen den Kulturen darstellt. Zudem ist es kein allzu ausgetretener Pfad, wie etwa eine Toscana- oder Provence-Malreise, so dass es den Studierenden ermöglicht wird, durch die Distanz ihr Sehen zu schulen.
Mir war es zudem wichtig, dass die Studierenden in einer fremden Kultur beobachten, was wirklich da ist – das beinhaltete natürlich auch, eine andere politische Wirklichkeit, eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit wahrzunehmen. Sie sollten nicht bloß die schöne Moschee mit ihren bunten Türmen abmalen. Wie gesagt: Es ging uns darum, sich von der Vorstellung zu entfernen, wie etwas auszusehen hat.
Wie sieht es auf der technischen Ebene aus? Ist es nicht schwierig, Ihren Schülern Ihre Technik, die das Ergebnis einer langen Entwicklung ist, als Handwerkszeug zu präsentieren, an dem man sich bedienen kann?
Die Frage ist nicht ganz einfach. Natürlich vermittle ich Technik und gebe Tipps, aber ich würde es kritisch sehen, wenn mein Unterricht dazu dienen würde „Scheinberger-Klone“ zu erzeugen.
Reines Kopieren finde ich auch deshalb schwierig, weil ich möchte, dass die Studierenden in Lohn und Brot kommen. Die neue Generation sollte ihre Stärken nutzen, ihr kreatives Potenzial, ihre guten Einfälle, ihre Ideen und sie sollte ihre eigene Sichtweise entwickeln – und dann, da bin ich sicher, wird sie (die neue Generation) damit auch Ihren Markt finden.
Sie arbeiten zur Zeit mit Ihren Studenten an einer Anthologie zu „Gespenstergeschichten“, die im nächsten Jahr beim Rowohlt Verlag erscheinen wird. Ihre Klasse wird die Geschichten illustrieren?
Ja, und das ist etwas, worüber ich mich sehr gefreut habe. Es ist schön, dass ein so großer Verlag uns einen solchen Vertrauensvorschuss gewährt hat. Denn Rowohlt hat hier natürlich die Katze im Sack gekauft.
Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass sie es mit einer sehr vorzeigbaren „Katze“ zu tun haben, denn die Studierenden sind hoch motiviert, und haben wunderbare Illustrationen geliefert.
Meine Intention dabei ist, dass ich den Studenten Praxis vermitteln kann. Wenn die Studenten es hier mit Geschichten zu tun haben, müssen sie serielle Illustration machen. Das ist etwas anderes als nur ein Bild für ein Thema zu liefern, beispielsweise für den Editorial-Bereich. Illustration ist zudem ein sehr literarisches Fach, das geht überhaupt nicht ohne Lesen. Und der Umgang mit Verlagen ist natürlich auch etwas, was man vermitteln muss. Mit Redaktionen zu arbeiten ist oft ein Kampf. Da fallen dann schon einmal Sätze wie: „Malen Sie uns den Schnee, aber bitte nicht so kalt, und bitte nicht mit so viel Weiß“. In diesem Fall arbeiten wir bei Rowohlt mit Christiane Steen zusammen, und sie hat, was Illustrationen anbelangt, ein sehr gutes Auge: In fast allen Fällen, außer bei ein, zwei sehr modernen Sachen, gingen wir ganz d‘accord: Wenn im Text von einem Haus die Rede ist, das auf einer grünen Wiese steht, kann man das natürlich übertragen: Man zeichnet dann eben ein Haus auf einer grünen Wiese. Das ist legitim, und manche Redaktionen sehen so etwas wegen der Allgemeingültigkeit auch recht gerne. Beim Illustrieren eine sehr eigene Bildwelt zu eröffnen, kann als autoritärer Akt empfunden werden, weswegen viele davor zurückschrecken. Wenn man sich positioniert, kann man eben auch falsch liegen. Die eigene Bildwelt ist jedoch unheimlich wichtig, weil man durch sie beim Leser eine weitere geistige Auseinandersetzung mit dem Text ermöglicht. Sonst kann man auch lediglich ein dekoratives Element zu einer Textstelle produzieren. Illustration wird ja auch gerne so gebraucht – einfach nur als lockere Geste, als Projektionsfläche. Das ist im Grunde aber zu wenig. Illustration sollte sich bemühen eine weitere Leseebene zu eröffnen – auch auf die Gefahr hin, dass sie eventuell nicht allen gefällt.
Wie verläuft denn der Prozess, eine zusätzliche Textebene zu schaffen? Jedem Leser werden durch den Leseakt selbst doch Bildwelten eröffnet, und zwar gleichzeitig mit dem Lesen. Ist das bei Ihnen möglich, ohne dass Sie gleich an eine Umsetzung der Bilder zu Illustrationen denken?
Zum Teil ist es tatsächlich so, dass mir beim Lesen ein Bild kommt, um das weitere Bilder logisch gruppiert werden. Also etwa: Ein Close Up folgt einer Totalen, eine gelbe Führungsfarbe einer roten. Das ist bei der seriellen Illustration ein gangbarer Weg, aber das allein wäre sicher zu einfach. Ich verbringe viel Zeit mit einem Text und lese einiges an Sekundärliteratur. Man liest etwas über den Autor, über seine Zeit, über die Zeit, in der der Text platziert ist, und versetzt die gewonnenen Eindrücke in Beziehung zu der eigenen Zeit. Man kann zu einem Autor, beispielsweise Thomas Mann, nicht nur drei Bilder googeln und dann ein weiteres dazu setzen. Das ist etwas, was durch seine Beliebigkeit die Kunst der Illustration gefährdet.
Bei ihren Illustrationen zu Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ arbeiten Sie in Ihren Illustrationen mit Collagen. Diese Arbeitsweise ist ja auch eine, die Thomas Mann gebraucht. Findet ein Austausch mit dem Autor auf einer technischen Ebene statt?
Ein Bild erzeugt immer die Illusion einer Wirklichkeit. Das wollte ich in diesem Fall nicht. Die Collagen habe ich bei diesem Buch deshalb gewählt, um das Auge „zu stoppen“, um klarzumachen: Das ist Grafik. Ich wollte eine gewisse Distanz zum Geschehen schaffen.
Distanz ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Schlagwort: Wenn man von der Literatur kommt, kann man auch durchaus bei den Illustrationen – gerade bei denen, die Aschenbach als Thomas Mann darstellen – erschrecken.
Das ist richtig, und die Illustrationen wurden deshalb zum Teil auch hart besprochen. Wenn ich die Reaktionen, die ich auf „Das Land der letzten Dinge“ bekam, mit denen zu „Der Tod in Venedig“ vergleiche, muss ich sagen, dass ich überrascht war, denn die Illustrationen zu „Das Land der letzten Dinge“ positionieren sich im Grunde viel stärker zum Text: Das Buch ist ein typischer Auster, die Handlungsstätte ist New York, und es handelt von dem Verfall, von der Auslöschung einer Gesellschaft. Ich habe es in meiner Version in Deutschland statt in New York angesiedelt: Ich habe die Frankfurter Großmarkthalle als Kulisse genommen, oder eine Altstadtstraße in Lübeck. Ich habe es eben nicht im fernen Amerika mit fernen, amerikanischen Problemen gezeigt. Denn das, was Auster beschreibt, könnte möglicherweise ja auch hier passieren. Nämlich, dass die gesellschaftliche Solidarität aufgekündigt wird. Hierzu kamen aber eigentlich überhaupt keine Reaktionen. Das ganze Bildungsbürgertum, inklusive der Literaturszene, hat das wohlwollend abgenickt. Bei „Der Tod in Venedig“ war es völlig anders.
Bei der Visconti-Verfilmung war noch das Schwule der Skandal. Das interessiert mich nicht, weil ich darin nichts Schlimmes erkennen kann. Ich sehe den eigentlichen Skandal darin, dass Tadzio so jung ist. Dass Aschenbach in diesem Fall als Thomas Mann in Erscheinung tritt, ist im Grunde ja nahe- liegend. Ich wollte keinen Skandal, keinen Epigonen um der Aufmerksamkeit willen ans Bein pinkeln, die Bilder ergaben sich vielmehr natürlich bei der Beschäftigung mit dem Buch.
Sprechen Sie Ihre Illustrationen mit den Autoren ab? Bei Paul Auster beispielsweise – gab es da einen Austausch?
Bei Auster war das so, dass wir zunächst nur mit seiner Agentur kommuniziert haben, die das nebenbei gesagt gar nicht verstand, was ich da gemacht hatte. Sie hatten „New York“ gelesen, und wollten dann auch New York sehen. Auster selbst fand die Bilder und den dahinter liegenden Gedanken aber ansprechend, und es war Paul Auster letztlich zu verdanken, dass das Buch so erscheinen konnte.
Bei „Im Land der letzten Dinge“ weichen Sie sehr von Ihrer Farbigkeit ab. Gab es eine dahinter stehende Entscheidung?
Farben eignen sich sehr gut, um Gefühle darzustellen. Beim Mangel an Farben verhält es sich genauso. Das bringt im Fall von Austers Buch gut zum Ausdruck, dass etwas verloren gegangen ist, dass etwas fehlt. Man kann da natürlich auch andersherum arbeiten: Wenn Thomas Mann einen pinkfarbenen Anzug trägt, ist das natürlich ein sehr starkes Bild.
Sie illustrieren auch Kinderbücher. Beim Anschauen der Reihe um den Hasen Toddel fällt zunächst einmal ins Auge, dass Sie dort ganz anders zeichnen, klarer, einfacher vielleicht.
Es gibt natürlich, das muss man sagen, den Bereich „Brotkunst“. Aber das Zentrale ist, dass Buchillustration immer Literaturumsetzung ist. Und wenn ich ein Kinderbuch als Ausgangspunkt habe, ist das eben eine einfachere, unverkünstelte Form von Literatur. Es geht primär um Emotionen – es gibt keine streng rationale Ebene, keine Figuren, die stellvertretend für eine komplexe Wirklichkeit stehen. Dann ist es auch adäquat, wenn man es einfach darstellt.
Kinderbücher erzeugen aber doch nicht nur kindliche Emotionen, sie fordern ja auch solche ein. Das ist doch gerade die Schönheit, dass man wieder entdeckt, dass noch etwas unter dem Schutt von Erwachsenenmüll liegt. Steht da das Wort „Brotkunst“ nicht in einem enormen Gegensatz zu kindlicher Emotion?
Das klingt natürlich immer etwas komisch. Das Kinderbuchmachen selbst hat mit dem Begriff auch nichts zu tun. Wenn ich Kinderbücher illustriere, arbeite ich sehr emotional und lache viel. Kinderbücher haben auch allein darin ihren Reiz, dass sie von einer anderen Wirklichkeit erzählen, die den Erwachsenen in den meisten Fällen verlorengegangen ist.
Das Wort „Brotkunst“ bezieht sich eher auf den Kinderbuchmarkt: Das permanente Schielen auf die Auflagenhöhe, das im Kinderbuchbereich in den letzten Jahren leider normal geworden ist, wie auch der Umstand, dass bei vielen Kinderbuchverlagen immer mehr der mutmaßliche Massenmarkt des kommenden Jahres das Programm dominiert; oder dass Bücher für einen globalen Geschmack produziert werden. Dass man in ganz frühen Phasen schon an Lizenzen denkt. – Das treibt seltsame Blüten. Mit Unbeschwertheit hat das dann nichts mehr zu tun. Wenn beispielsweise Toddels Mutter im Profil einen leichten Brustansatz hat, dann wird es von amerikanischen Agenten versucht wegzudiskutieren – eine Hasenmutter darf ja für den amerikanischen Markt keinen Busen haben! Die Argumentation verläuft dort auch nicht auf einer Ebene, die mit visuellen Schwierigkeiten zu tun hat – sie befürchten nur, mit einem solchen Bild weniger Käufer zu finden. Es ist ja eine skurrile Situation, dass Kinderbuchverlage immer mehr auf das Geld schauen, während die Verlage, die Belletristik illustrieren lassen, schöne Bücher haben wollen.
Dieser Zwiespalt spielt bei Illustration insgesamt doch auch eine grosse Rolle – Illustration wird ja immer noch viel mit Werbung oder Gebrauchskunst verbunden, sodass manche Illustratoren tagsüber in Werbeagenturen sitzen um die Miete bezahlen zu können, und dann abends das tun, was sie eigentlich wollen, und wozu sie ausgebildet sind.
Das ist natürlich eine gruselige Situation und auch äußerst seltsam: Man stelle sich einen Fernfahrer vor, der abends in der Kneipe kellnert, um sich dann seinen Beruf finanzieren zu können. Illustration ist ja schließlich ein Beruf, und davon sollte man leben können. Diese Fehlentwicklung hat auch mit dem schlechten Image zu tun. Illustration wurde lange als ein dubioser Kompromiss zwischen Grafik und Kunst gesehen, und das ist meines Erachtens nicht so. Sie etabliert sich zunehmend als eigenständige Kunstform, die sehr viel über die Zeit, in der wir leben, aussagen kann.
Nehmen Sie denn da einen Sichtwechsel wahr?
Ja. Der Durchmarsch der digitalen Medien, die digitale Manipulierbarkeit von Bildern, stärkt die Position der Illustration. Paradoxerweise macht gerade die offensichtliche Subjektivität der Illustration das Medium glaubwürdig. Mein Eindruck ist, dass Illustration seit Jahren boomt. Natürlich interessiert sich die „Belletristik“ für Illustrationen, und natürlich interessiert sich die „Graphische Kunst“ für Illustrationen, aber es kommen nun auch Magazine wie „Brigitte“ oder das „Manager-Magazin“ verstärkt auf mich zu, weil sie statt Fotos lieber Illustrationen wollen.
Und das liegt an einer positionslosen Beliebigkeit der Darstellungsmöglichkeiten digitaler Medien?
Ich denke es liegt an der Haltung. Es gibt viel Nichtssagendes, Weichgespültes, und deshalb ist es wichtig, dass man sich selber positioniert. Ob digital oder analog ist hierbei zweitrangig. Illustration sollte mehr sein, als ein dekoratives Element neben einer Textstelle. Ihre Kraft liegt im Inhalt, im Ausdruck und in der Kreativität. Im Spaß, mit Bildern Geschichten zu erzählen. Denn das ist ein Bild: eine universelle Vokabel, ein kluger Kunstgriff gegen die Sprachlosigkeit. Darin liegt die Stärke von Illustration. Das kann sie und das macht sie spannend.
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