Zeichnungen von Felix Scheinberger

llustration und Karikatur in neuen Dimensionen

Mit Thomas Manns hochbürgerlicher Sprache habe ich mich immer schwer getan. So geschliffen und ausdifferenziert, so wenig emotional, ja unheimlich schien sie mir, als versteckten sich des Autors Gefühle und Sehnsüchte hinter seinen perfekten Formulierungen. 
Insbesondere bei der Lektüre der Novelle „Tod in Venedig“, einer ihrem Wesen nach untergründig erotischen Geschichte, in der sich des Dichters Verlangen nur mit höchster Phantasie erspüren läßt, blieb mir dieser Eindruck haften - bis die Novelle 2005 von der Büchergilde Gutenberg mit Zeichnungen von Felix Scheinberger neu ediert wurde.

Wie Scheinberger da den Poeten (als Aschenbach) und dessen still - tiefe Leidenschaft für den eitlen Jüngling Tadzio aufspießt: 
Dann in Boxershorts mit Herzchenmuster auf seinem Bestseller „Buddenbrooks“ stehend, spürbar verzweifelt die Hand nach oben dem enteilenden Blondling im Matrosenanzug ausstreckend - das ist von so kraftvoller Sinnlichkeit, daß alle offenen Fragen des Textes zeichnerisch beantwortet werden. 
Der eben nicht leicht verständliche Klassiker erwacht zu neuem, kecken Leben!

Auch, wie Scheinberger Paul Auster´s apokalyptische Fabel „Im Land der letzten Dinge“ (ebenfalls Büchergilde Gutenberg, 2001) zeichnerisch verdichtet, wie er die archaischen Kräfte des Untergangs, die Menschen in ihrer Not und die urbanen Wüsten per Stahlfeder und schwarz - grau - brauner Sepia, China- und Acryltusche bannt , um sie anschließend mit Farbsprenkeln - als Symbol der Dekonstruktion - zu übersäen: das ist Illustration als feinste Zeichenkunst. 
Und wenn er, um deutlich zu machen, daß der Großstadtdschungel auch jenseits solcher Moloche wie New York existiert, die Lübecker Stadtkulisse abbildet, in der Hoffnung, daß Städte mit großer Geschichte dem Untergang vielleicht trotzen könnten, gewinnt die Zeichnung eine poetisch - philosophische Dimension ...

Was immer Scheinberger aufs Korn nimmt, Menschen und immer wieder Menschen, Städte, Landschaften, Begebenheiten und Begegnungen, Ereignisse: Er ist ein phantasievoller Dokumentarist, kein Illustrierer marktgängiger 
Pop - Ware.
Und dokumentarisch arbeiten heißt für ihn, hinter die Kulissen schauen, glatte Oberflächen abkratzen, die Dinge hinter den Dingen aufdecken, die Tiefen, die Untiefen, die Wesensmerkmale, die Substanzen. 
Dazu dient ihm auch seine Fähigkeit, zu karikieren: nicht, um zu verletzen, sondern um aufzudecken, aufzuklären - eine Art künstlerischer Archäologie. 
Und das hat, da immer seltener, Zukunft!


Aus: „Graphische Kunst“ 1/2007
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