Die Original-Flachdruckgrafik
Flach Gedrucktes, manchmal ganz schön von der Rolle: Original-Flachdruckgrafik und Algrafie
Es geht um die recht unbekannte, aber weit verbreitete Orig.-Flachdruckgrafik, oft fälschlich als Offset-Lithografie bezeichnet.
Zuerst vielleicht einmal eine kurze Antwort auf die Frage: Warum sich überhaupt mit dem trockenen Stoff grafischer Techniken beschäftigen? Erstens, weil einem dann kein „Giclée“-Händler signierte Tintenstrahl-Reproduktionen zu Orig.-Grafik-Preisen andrehen kann. Und zweitens kann man das Preis-Leistungs-Verhältnis von Grafiken besser einschätzen, wenn man den Aufwand ihrer Entstehung kennt. Man muss sich das ja jetzt auch gar nicht genau einprägen, aber vielleicht aufheben für den Moment, wo der Kauf einer Grafik in dieser Technik ansteht.
Das Flachdruckverfahren beruht eher auf chemischer denn auf physikalischer Basis: Holzschnitt (Hochdruck) nutzt zum Druck alles, was nicht aus der Platte geschnitten wurde und also noch hoch steht, Radierung (Tiefdruck) nutzt die in die Kupferplatte geritzten oder geätzten Vertiefungen, um dort Farbe reinzuwischen, die dann feuchtes Büttenpapier unter Druck heraussaugt. Beides also Druckverfahren mit Höhen und Tiefen = Physik.
Den Flachdruck erfand Alois Senefelder (1771 bis 1834), indem er einen Kalkstein völlig plan schliff und die glatte Fläche mit einem Fettstift bezeichnete. Diese Linien nehmen, verkürzt gesagt, beim Einwalzen des Steins mit Druckfarbe diese an, die unbezeichneten, mit Gummiarabikum behandelten Teile des Steins tun das nicht. Der Stein druckt dann nur das ab, was der Künstler vorher auf ihn gezeichnet hat. Das ist die Lithografie, griech. Lithos = der Stein, graphiké = Zeichnung.
Da diese Druck-Steine äußerst schwer sind und zudem teuer, auch mal brechen können und zudem für den weiteren Gebrauch in nervtötender stundenlanger Arbeit abgeschliffen werden müssen, experimentierte schon Senefelder mit Metallplatten als Druckträger anstelle des Steins und erhielt für den Flachdruck von Metallplatten 1818 von „Sr. königl. Majestät von Baiern“ ein sechs-jähriges „Privilegium“ (Patent).
Wie soll man das Kind nennen, das genauso funktioniert wie die Lithografie, dem aber der Lithos fehlt? So kommt’s zum Wortungetüm „Original-Flachdruckgrafik“ – das Wort „Original-“ verweist darauf, dass es sich nicht um eine Reproduktion, sondern eine eigenständige künstlerische Leistung handelt.
Es bürgerte sich ein, alle Flachdrucke als Lithografien zu bezeichnen, schon Gauguin druckte viele seiner „Lithografien“ von Metallplatten. Am besten eignen sich Aluminiumplatten – daher der Begriff Algrafie, es funktionieren aber auch Zinkplatten, dann heißt es Zinkografie.
Wie kommt das Bild auf die Platte? Dazu gibt es 2 Wege: Der Künstler kann, wie beim Stein, klassisch direkt auf die Platte zeichnen – dann nennt man es eine Algrafie, oder er bezeichnet speziell gekörntes Transparentpapier, das dann auf eine präparierte Druckplatte belichtet wird – die Orig.-Flachdruckgrafik. Diese Technik entwickelte sich mit dem Vormarsch des Offsetdrucks in den 1960er-Jahren in Ost- und Westdeutschland parallel:
Jürgen Wölbing versuchte zusammen mit dem Flachdruck-Meister Horst Eschwege, die Technik der Farb-Flachdruckgrafik auf die Spitze zu treiben – sie druckten für die Freunde der damaligen Bank für Gemeinwirtschaft, von dieser dafür anständig alimentiert, so manche Grafik von 18 (!) Platten.
Schon hier wird deutlich, welche Vorteile das Arbeiten mit transparenten Folien hat: Man kann sie zum Bezeichnen übereinanderlegen und sieht immer, was auf den anderen schon angelegt ist. Und wenn mal etwas verpfuscht ist: Einen Stein abzuschleifen lässt man im Zweifel lieber sein, eine verzeichnete Folie wegzuwerfen ist kein Problem.
Auch Armin Abmeier nutzte bei der „Erfindung“ der Tollen Hefte, bei der Volker Pfüller Pate stand, die Originaldrucktechnik, um die Hefte in der sie auszeichnenden heftigen Farbigkeit produzieren zu können. Rotraut Susanne Berner, die nach Abmeiers Tod die Herausgabe der Tollen Hefte übernommen hat, ist ebenfalls eine Meisterin des „Farbauszüge-Zeichnens“.
In der DDR arbeiteten u.a. Ruth Knorr, Volker Pfüller und Werner Klemke in dieser Technik. Hans Ticha forderte die Verlage heraus, Buchillustrationen mit 50 und mehr Bildern als Orig.-Flachdruckgrafiken zu drucken.
In unserer Ausstellung gibt es 2 Beispiele von ihm: E.T.A. Hoffmanns Klein Zaches, und Hans Falladas Geschichten aus der Murkelei. Ticha hat Hunderte Blätter Transparentpapier bezeichnet, für jede Farbe jeden Bildes eines, und der Grund für die Mühsal: So behält der Künstler auch in der industriellen Buchproduktion die Kontrolle über die Wiedergabe seiner Arbeiten. Denn gedruckt wird nicht wie beim normalen Rasterdruck in Rot, Blau, Gelb und Schwarz, grad so gemischt, wie der Drucker drauf ist sondern der Künstler bestimmt Sonderfarben, und ohne Raster steht die Farbe massiv flächig – selbst auf schlechtem Papier.
Zum Druck: warum „Offset-Lithografie“?
Das englische offset = ‚abgesetzt‘, im Sinne von ‚übertragen‘, verweist darauf, dass beim Offset-Druck die Druckplatte nicht direkt Farbe auf Papier überträgt, sondern eine große Gummiwalze über die eingefärbte Druckplatte rollt, deren Bild seitenverkehrt aufnimmt, um dieses dann seitenrichtig auf das Papier abzurollen.
Das ist natürlich ein Vorteil, dass der Künstler seitenrichtig arbeiten kann. Zudem nutzt sich die Druckplatte nicht so schnell ab, weil sie nur vom Gummizylinder berührt und nicht unter hohem Druck auf das Bütten gepresst wird. Künstlerische Druckgrafik wird jedoch häufig immer noch direkt von der Alu- oder Zinkplatte auf das Papier gedruckt.
Inzwischen sind oft nicht mehr der Bleistift und die gekörnte Transparentfolie das Handwerkszeug der Künstler, sondern ein Grafikstift und Grafiktablett des Rechners. Ich musste erst mal ein paar Jahre daran kauen, habe mich aber inzwischen durch zahllose Gespräche mit Künstlern und Druckern davon überzeugen lassen, dass wirklich nicht der Computer zeichnet, sondern der Künstler, nur eben nicht auf Transparentfolie.
Die Technik der Original-Flachdruckgrafik stand auch für den gesellschaftlichen Aufbruch nach 1968, als diese preiswerter herzustellende Originalgrafik ein Weg für die Realisierung der Losung „Kunst für alle!“ zu sein schien. Die von V.O. Stomps gegründete Eremiten Presse schaffte so preiswerte Buchkunst in großer Qualität, in Österreich produziert das Pendant, die Edition Thurnhoff, die Reihe Oxohyphe nach wie vor auf dem gleichen hohen Niveau.
Wenn man auf die hier versammelten Namen blickt, wird schnell klar, dass diese grafische Technik zum Alltag der Künstler aller Generationen gehört: Es geht von Erhard Göttlicher bis Thomas M. Müller, von Tomi Ungerer bis Klaus Böttger, von Jeanne Mammen bis Angela Hampel, von Günther Uecker bis Franziska Neubert, von Susanne Melchert bis Helge Leiberg.