Die Lithografie

Dass die Erfindung des Textdruckes mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg ab dem Jahr 1450 die Verbreitung von gedruckter Literatur erst massenhaft möglich machte, weiß jedes Kind. Aber haben Sie schon mal darüber nachgedacht, wie mit diesem System z.B. Musiknoten, die Guido von Arezzo (992 – 1050) erfunden hatte, gedruckt werden konnten? Die Antwort lautet: gar nicht. 800 Jahre lang wurden Noten von Hand abgeschrieben, bis Alois Senefelder (1771 – 1834), Jurastudent mit Hang zur Schriftstellerei, einen Weg suchte, seine eigenen Theaterstücke schnell und preiswert vervielfältigen und verkaufen zu können.

Eine eigene Druckpresse und Typenmaterial konnte er sich nicht leisten, und so suchte er nach einer alternativen Drucktechnik.
Ausgehend vom leicht zu handhabenden Hochdruck wie dem Holz- oder Linolschnitt, bei dem alle hochstehenden Teile der planen Druckplatte auf Papier ‚gedrückt’ werden können, während das Herausgeschnittene weiß bleibt, wollte Senefelder das mühselige Herausschneiden durch einen chemischen Prozess auf der Oberfläche einer Druckplatte ersetzen.

Der ganz plan, also glatt und total eben geschliffene weiße Kalkschieferstein aus Solnhofen, den er neben Buchsbaumplatten, Kupfer und Wachs als Druckträger ausprobierte, nimmt in seine feinsten, mit dem bloßen Augen nicht wahrnehmbaren Poren Fett, das Wasser abstößt, von einem Fettstift auf, und lässt sich an allen fettfrei gehaltenen Stellen durch Auftragen von Gummiarabikum zu Wasserpartikelaufname manipulieren – so dass beim Einwalzen des Steins mit Druckfarbe diese nur an den fettigen Stellen haftet, an den gummiarabisierten aber abgestoßen wird. Unter Druck kommt nur das – seitenverkehrt – aufs aufgelegte Bütten, was vorher auch auf den Stein gezeichnet worden ist.

Noch einmal: Das Prinzip ist die Präparierung der Oberfläche eines Druckträgers in Wasser abstoßende und Wasser anziehende Teile, die erstgenannten nehmen fetthaltige Druckfarbe an, wenn der Stein mit einer farbgetränkten Lederwalze eingewalzt wird, die anderen Teilflächen stoßen wegen des Wasserfilms, den sie halten, die Walzenfarbe ab und bleiben beim Druck weiß.

Der Kalkstein aus Solnhofen, das im mittelfränkischen Altmühltal liegt, ist nicht nur der geeignetste für die Lithografie, er ist auch besonders berühmt für seine fossilen Einschlüsse. Man fand dort Überreste von allein 6 verschiedenen Arten von Flugsauriern und 180 Insekten. Des Archäologen Freud ist des Druckers Leid – die fossilen Einschlüsse hinterlassen Spuren im Bild, erwünscht sind also nur ganz reine Steine. Durch ihr Vorkommen als geschichtetes Gestein werden die Platten auch als „Solnhofener Schiefer“ bezeichnet.

Die Lithografie-Steine sind extrem schwere, ca. 8 – 10 cm dicke Platten, sie müssen schließlich beim Drucken enormem Druck standhalten, denn die Farbe wird nur hauchdünn auf den Stein gebracht. Der kann auch brechen – dann ist das Bild hin, ein Riss wäre im Druck zu sehen. Das alles führte dazu, dass schon bald versucht wurde, das chemische Verfahren auf Metallplatten zu übertragen, was aber für große Auflagen erst 1906 dem Deutschamerikaner Caspar Hermann mit seinem Offsetdruck-verfahren auf dünnen Aluminiumplatten gelang. In der Kunst bezeichnet man die Technik als Algrafie oder Original-Flachdruck, wenn Lithografie auf eine Metallplatte statt den Stein gezeichnet wird.

Senefelder taufte seine Erfindung „Chemische Druckerey“, bekannt wurde sie aber unter dem noch heute geläufigen Namen „Lithographie“ (griech.: lithos = Stein; graphein = schreiben). Sehr schnell erkannte der Offenbacher Musikalienverleger Anton André die Möglichkeiten des neuen Verfahrens für die Vervielfältigung von Notenschriften, schloss mit Senefelder einen Vertrag und verhalf der Lithografie zum Siegeszug durch die Welt. Er schickte seine Brüder mit der neuen Erfindung nach London und Paris, Senefelder selbst ging mit der neuen Technik ins Metternich‘sche Wien, wo sie vor allem von der Heeresführung für die Vervielfältigung von Landkarten genutzt wurde.

André stellte aber auch von Anfang an gezielt Künstlern das Verfahren zur Verfügung, unabhängig von ihm adaptierten Künstler wie Gottfried von Schadow schon 1804 in Berlin die neuen Möglich-keiten. In Paris war es Eugene Delacroix, der 1814 in großer künstlerischer Meisterschaft zeigte, was die Lithografie der Kunst für neue Möglichkeiten eröffnet. Der schon betagte Goya schuf beeindruckende Stierkampf-Lithografien, und 1827 wurde das Verfahren erstmals für ein Plakat genutzt – zur Ankündigung der von Delacroix illustrierten Ausgabe von Goethes Faust. 1829 begann Honoré Daumier für die Zeitschrift ‚La Caricature’ das gewaltige Werk von schließlich 4000 satirischen Lithografien, Henri Toulouse-Lautrec ebnete mit seinen leuchtenden Farblithografien der Kunst des 20. Jahrhunderts den Weg.

Die Steine werden übrigens öfter verwendet – wenn man die oberste Schicht abschleift, in der die Fettpartikel sitzen, kann der nächste Künstler den Stein bezeichnen. Abgeschliffen wird, indem man zwei Steine mit dem „Gesicht“ aufeinanderlegt und dazwischen eine Schicht feinen Quarzsand streut. Dann braucht es Ausdauer beim „Mahlen“. Das kann schon mal Stunden dauern. Ist der Stein schlecht abgeschliffen, hat der nächste Künstler das „Vergnügen“, im Druck Teile der Arbeit seines Vorgängers im eigenen Bild vorzufinden. Das Abschleifen lohnt sich: Je nach Größe kann ein neuer Stein mehrere tausend Euro kosten. Erfolgreiche Künstler wie A. Paul Weber haben ihre Steine nicht abgeschliffen, und wenn die Familie nicht gestorben ist, dann druckt sie noch heute – das sind aber natürlich un- bzw. nachlasssignierte Grafiken.

Wie hoch eine Auflage vom Stein sein kann, hängt entscheidend von den Fähigkeiten der Drucker bei der Behandlung des Steines ab. Überhaupt ist die Lithografie die grafische Drucktechnik, in der kaum ein Künstler ohne die Werkstatt professioneller Drucker arbeiten kann.
Abschließend noch ein kleiner Tipp, woran man erkennen kann, ob es sich bei einer Druckgrafik um eine Lithografie handelt: Oft drückt sich der Steinrand, der – im Gegensatz zur scharfkantigen, rechtwinkligen Radierplatte – eine organische Kontur hat, als Blindprägung ins Bütten.