Johannes Grützke 2

Einige persönliche Anmerkungen, 211. Frankfurter Grafikbrief Juli 2017:

Ich glaube, die Größe des Verlusts, den die Kultur und die Kunst dieses Landes durch den Tod von Johannes Grützke erlitten hat, wird man erst nach und nach erspüren, hauptsächlich da, wo seine Stimme und seine (Gegen)Position fehlen werden.

Er hat sich selten aus dem Fenster gelehnt, aber allein die Existenz seiner einzigartigen Malerei und Grafik, die er ganz ohne das Lärmen einer gewaltigen Marketingmaschine in die Welt brachte, verwies den aufmerksamen Beobachter auf die Fadenscheinigkeit manch prominenter Kunstproduktion und deren Marktgebahren.

Seine Bildsprache hat er kontinuierlich weiterentwickelt, was auch bei mir manchmal Verstörung auslöste, wenn er die eben lieb gewonnene Figuration gleich wieder auflöste. Ich berauschte mich geradezu an den ersten Bildern aus der „Schule der neuen Prächtigkeit“, in denen einladend grinsende Alter Egos des Künstlers, wie geklont, den Betrachter durch ihre sinistre Freundlichkeit das Gruseln lehrten. Ich hätte gern, ähnlich wie bei Ueckers Nagelbildern, diesem Bild-Personal wie in einer Vorabendserie bei ihrem weiteren Lebensverlauf zusehen mögen. 

Doch das war Grützkes Sache nicht, einen neu gefundenen Weg so lange zu begehen, bis sich ein Trampelpfad bildet, den dann alle finden. Er begriff sich als Forscher des menschlichen Daseins, war so neugierig, interessiert und unglaublich gebildet, dass ihn markenprägende Wiederholungen schlicht anödeten. Seine umfassenden handwerklichen Fähigkeiten erstaunten, ich erinnere mich gut, dass unsere erste Grafikausstellung hier in Frankfurt viele Künstler anzog, die ganz dicht an die Radierungen, die teilweise mit dem Diamanten ins Kupfer geritzt waren, herangingen, um zu gucken: Wie hat er das nur gemacht!

Den Vielbeschäftigten für eine Buchillustration für die Büchergilde zu gewinnen, scheiterte häufig an der ihm fehlenden Zeit. Zum Schluss gelang es doch noch. Es ging um einen Prachtband mit Novellen von Heinrich von Kleist, den wir zum 90-jährigen Bestehen der Büchergilde herausbringen wollten, mit drei Illustratoren aus drei Generationen. Natürlich war für uns Grützke der absolute Favorit für Kleists „Michael Kohlhaas“, aber ich wagte einzuwenden, dass wir noch einen Plan B bräuchten, falls Grützke wieder absagt. Woraufhin die Herstellungsleiterin der Büchergilde, Cosima Schneider, die schon bei der Anderen Bibliothek einen von Grützke illustrierten Band betreut hatte, regelrecht wütend wurde: „Keinen Plan B, ich will den Grützke!!!“

Dergestalt unter Druck habe ich das dem Künstler eins zu eins kolportiert und auch, dass ich mich ohne seine Zusage nicht mehr bei C. Schneider blicken lassen könne. Da hat er mir aus der Patsche und der Büchergilde zu jenem wunderbaren Buch verholfen, das 2014 erschienen ist.