Jürgen Wölbing
Jürgen Wölbing, 1942 in Breslau geboren, gehört zu den wichtigen Vertretern der westdeutschen Druckgrafikszene in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Spiritus Rector des „Künstler Syndikat Frankfurt“ war er maßgeblich beteiligt an der Entwicklung der in den 1960er Jahren neuen grafischen Technik des künstlerischen Offsetdruckes, den er – zusammen mit dem Druckermeister Horst Eschwege – experimentell bis an seine Grenzen führte ...
Daneben war Wölbing ein brillanter Zeichner und Holzschneider, dessen filigranste und vor feinsten Details nur so strotzenden Holzschnitte, oft an der Grenze zum Holzstich, nur einen Fehler haben: Man muss sie ‚live’ sehen, sie lassen sich nicht ohne Verlust ihrer Finesse reproduzieren. Und das macht die Verbreitung eines solchen Werkes schwer.
Der buchstäbliche Verzicht auf alles Plakative und Gefällige – beides war diesem ernsthaften, feinsinnigen und bescheidenen Künstler absolut wesensfremd – kostete ihn den hohen Preis, dass die Wertschätzung dieses singulären Werkes bei Fachleuten hoch ist, seiner Verbreitung aber enge Grenzen gesetzt sind.
Immerhin:Er gewann 1981 den wichtigsten Preis für Lithografie (Senefelder-Preis), 2001 den wichtigsten Preis für Illustration (Hans-Meid-Preis), 2007 den wichtigsten Preis für Pressendrucker (V.O.Stomps-Preis für das ‚Kunsthaus Hinter den Zäunen’). Das Auswärtige Amt wählte seine Arbeiten neben denen von HAP Grieshaber, A. Paul Weber und Michael Mathias Prechtl aus für eine Ausstellung „Realistische Grafik der BRD“. 1985 erhielt Wölbing mit seinen Arbeiten zu Carl Gustav Carus’ Fragmenten eines malerischen Tagebuch als erster moderner Künstler eine Einladung zu einer Ausstellung im Frankfurter Goethe-Museum (Goethe-Haus).
Von Wölbing illustrierte Bücher wurden u.a. verlegt von der Eremiten Presse, The Bear Press Bayreuth und der Edition Tiessen, Neu-Isenburg. Für die Büchergilde illustrierte Wölbing Edgar Allan Poes Arthur Gordon Pym (1980) und B. Travens Das Totenschiff (1998). Dass seine Arbeiten im Gutenberg Museum Mainz, im Klingspor Museum usw. gesammelt werden, versteht sich da fast von selbst.
Wölbing, der am Bodensee aufgewachsen ist, wo ihm eine lebenslange Neigung zur bildnerischen Naturbeobachtung zuwuchs, schwänzte schon als Primaner samstags die Schule, um in den Ateliers der Quadriga-Künstler Heinz Kreutz und Bernhard Schultze diesen über die Schulter zu sehen. Neben der Schule besuchte er die Zeichenkurse von Walter Hergenhahn an der Abendschule der Frankfurter Städel-Kunsthochschule.
Ein kurzes, ihn wenig befriedigendes Studium der Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte beendete er vorzeitig und arbeitete lieber in einer Druckerei, wo er sich in der Praxis solide Kenntnisse in Typografie und Buchgestaltung aneignete, mit deren Hilfe er bald auch eine eigene kleine Druckerei betrieb.
Ab Mitte der 70er Jahre lebte Wölbing als freischaffender Künstler in Niederdorfelden (Wetterau): „Ich habe immer gerne auf dem Dorf gelebt, und nur hier kann ich in Ruhe über eine Sache nachdenken.“
1990 gründete Wölbing zusammen mit Susanne Melchert in Schöneck-Büdesheim das ‚Kunsthaus Hinter den Zäunen’: Sie kauften das alte Schulgebäude des Ortes und entwickelten ein Konzept, in dem Alltag und Kunst, Wohnen, Arbeiten und Ausstellen (nicht nur eigener Werke) unter einem Dach möglich sind. Leider erwies sich das Gebäude als Sanierungsfall, und die notwendigen Instandhaltungsarbeiten banden viel von Wölbings Energie. Gleichwohl baute er, der wohl sein ganzes erwachsenes Leben lang mit eigenen Druckmaschinen gelebt hat, im Ort eine Druckwerkstatt mit zahlreichen Druckpressen auf, die als öffentlicher Ort der Kenntnisvermittlung wie als Arbeitsplatz für Künstler geplant war, nach seinem Tod jedoch aufgelöst werden musste.
1995 erfand Wölbing den Buchomat: einen Automaten für kleinformatige Künstlerbücher (Einwurf 5-DM-Stücke) und brachte in den folgenden Jahren eine Serie von Buchomat-Büchern, vor allem im Orig.-Flachdruckverfahren hergestellt, heraus. Auch dies eine seiner vielen Initiativen, unkonventionelle Wege abseits des kommerziellen Mainstreams zur Verbreitung von Grafik und Buchkunst zu finden.
So nutzte er auch seine große Fertigkeit beim Druck von Original-Flachdruckgrafiken zur Arbeit für Künstlerkolleg/ inn/en, kuratierte Illustrations-Ausstellungen in der Kommunalen Galerie im Leinwandhaus in Frankfurt und betätigte sich im Rahmen seines Verlages ‚Produktion Eschwege & Wölbing’ (1983 – 1990) auch als Verleger originalgrafischer Bücher. Diese Tätigkeit führte er 1991 – 2005 mit Susanne Melchert im ‚Kunsthaus Hinter den Zäunen’ fort. Jürgen Wölbing starb nach langer, schwerer Krankheit am 3. September 2009 im Alter von nur 67 Jahren.