Julia Weck
Julia Wecks Leben und ihr künstlerischer Werdegang sind geprägt von einer Kindheit in der DDR und einem Aufbruch als Studentin und Künstlerin im gerade erst wieder vereinten Deutschland. Vielen Westdeutschen ist wahrscheinlich unbekannt, dass es in der DDR eine sehr basisorientierte Kulturaffinität im Alltag gab.
Im Falle Julia Wecks, deren Familie nach ihrer Geburt in Halle an der Saale (1975) in die Bauhausstadt Dessau zog, war es ein Kunstzirkelangebot für Kinder und Jugendliche außerhalb der Schule, in dem sie von der Grundschule bis zum Abitur allwöchentlich in Zeichnen nach Natur und Modell, aber auch allen druckgrafischen Techniken unterrichtet wurde, teilweise von bekannten Künstlern in deren Ateliers. Eine Chance, die zu nutzen sie kein einziges Mal versäumte.
Die zeichnerische und malerische Begabung lag schon in der Familie, Großvater und Urgroßvater hatten aber der möglicherweise brotlosen Kunst nicht getraut und lieber auf den goldenen Boden des Malerhandwerks gesetzt. Bei ihrem Vater, einem begeisterten Fotografen mit eigener Dunkelkammer, erlernte sie schon als Kind, wie man eigene Fotoabzüge erstellt und welche chemischen Prozesse dabei ablaufen.
Dass sie 1994, von ihrer Familie darin sehr unterstützt, ein Studium der Gestaltung an dem eben erst neu eröffneten Fachbereich Visuelle Kommunikation an der Bauhaus-Universität Weimar aufnahm, erwies sich für sie als absoluter Glücksfall: Alle Werkstätten waren funkelnagelneu und luden ein zur Arbeit mit Holz ebenso wie mit Fotografie und (analogem) Video. Restriktionen, Eingrenzungen gab es nicht, Spezialisierung war nicht gefragt, vielmehr wurden die Studenten zu konzeptionellem, fächerübergreifendem Denken und Arbeiten ermutigt. Das Lehrpersonal war international, westdeutsche Kommilitonen Vorbilder für das „Nicht ganz so brav sein“, das die DDR-Kids so noch nicht kannten.
Vermittelt von einer amerikanischen Professorin der Hochschule konnte Weck 1997 ein Jahr lang am Institute of Art and Design, Milwaukee, USA studieren. Nach ihrer Rückkehr beteiligte sie sich zusammen mit sieben weiteren Studierenden an der Eröffnung einer eigenen Galerie in Weimar, dem „neu deli“: Jemandem war aufgefallen, dass mitten in der Stadt über dem Hauptpostamt ein ganzes Stockwerk leer stand, und, so war das damals, ein Anruf bei der Zentrale der Deutschen Post in Bonn reichte, um eine kostenlose Nutzung sogar zweier Stockwerke zu erwirken. Die Universität bezahlte Strom und Wasser, es wurde sogar ein eigener Eingang durchgebrochen, und los ging es mit Ausstellungen, Lesungen, kulturellen Veranstaltungen.
Zu dieser Zeit hielt der Medienwissenschaftler Prof. Lorenz Engell, der 1993 die Gründung des Fachbereichs Medien angestoßen hatte, an der Hochschule legendäre, völlig überlaufene Vorlesungen über einzelne Filme, zu deren Vorführung von Studenten zubereitete, aus dem jeweiligen Film stammende Gerichte gereicht wurden.
Julia Weck hat später die Anekdote erzählt, ihr grafisches Großwerk von 100 Filmabspann-Bildern (s.u.) sei entstanden, weil sie, müde von der Doppelbelastung Kindererziehung und Kunst, von den abends mit ihrem Mann angesehenen Film-DVDs nur die Schlussbilder mitbekommen habe – in Wahrheit hat Engell sie mit seiner Filmbegeisterung angesteckt und die Typografie der Film- Vor- und Abspanne wurde für sie ein ganz eigenes Interessensgebiet.
Nach dem Diplom im Jahr 2000 lebte Weck ein Jahr freischaffend in Hamburg und ab 2001 wieder in Weimar, wo sie 2004 ihre erste Tochter gebar. Sie hatte sich ganz bewusst dafür entschieden, trotz des Karrierewunsches als Künstlerin nicht auf eine eigene Familie zu verzichten.
Durch das Studium in Weimar mit all seinen technischen und handwerklichen Möglichkeiten hatte sie sich weit von Malerei und Zeichnung entfernt, die in der Kindheit erlernte Druckgrafik galt ihr als muffig-DDRig. Nun entstand, durch die Begegnung mit den Arbeiten junger Leipziger Künstler und dem Verlust der Hochschulwerkstätten zur Entwicklung der eigenen Fotografie der Wunsch, sich die Abbilder von Menschen wieder zeichnerisch anzueignen und sich dazu weiter auszubilden.
Das Bestehen der Aufnahmeprüfung an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst war für sie ebenso wenig ein Problem wie für Arno Rink, den charismatischen Leiter der Malerei- und Grafikklasse, ihr kurz vorher geborenes Kind. Er ließ ihr einfach ein Jahr Zeit für die Aufnahme des Studiums. Rink ging 2005 in den Ruhestand, seine Malereiklasse wurde von Neo Rauch übernommen. 2007 kam Wecks zweite Tochter zur Welt, und rückblickend hat sie den Eindruck, dass das dem Kunstbetrieb ein bisschen viel Familie erschien und ihr der Zugang zu manchen Kontakten und Möglichkeiten erschwert wurde. Kann es denn der Qualität von Kunst schaden, wenn Lebenserfahrung mit Geburten und Kindern in ein Werk einfließen?
Seit ihrem Studienabschluss an der HGB Leipzig 2009 lebt sie dort als freischaffende Künstlerin. Sie ist der Faszination ihres Weimarer Studiums – der Nutzung der ganzen Vielfalt künstlerischer Möglichkeiten – treu geblieben und arbeitet auch immer konzeptionell. 2011 erschien „The End“, eine Serie von insgesamt 100 Orig.-Linolschnitten mit den Abspannbildern klassischer Kinofilme, teils in bezaubernder Bildhaftigkeit, teils in strenger Typografie. Ihrer Jugendheimat Dessau erwies sie Reverenz durch in Linol geschnittene Portraits der dortigen Bauhaus-Bauten.
Derzeit aber verbindet sie die Mittel der Malerei mit hölzernen Reliefs, die Abbilder von Menschen in Schichten ermöglichen. Solche mehrschichtigen Bilder verändern sich mit dem wechselnden Lichteinfall eines Tages und verschaffen dem Betrachter so immer neue Eindrücke von derselben Person – ganz wie einem auch Menschen in immer neuem Licht erscheinen können. Unsere Ausstellung zeigt eine große Anzahl dieser ganz frisch entstandenen Menschenbilder, sowohl als Wandobjekte als auch als Kleinplastiken. Sie werden staunen! Daneben gibt die Ausstellung Einblick das druckgrafische Werk – und da begegnet man auch noch „THE END“…
Julia Wecks Großprojekt "100 Filmenden"
In klassischen Filmen der 50er Jahre gab es manchmal bemerkenswert gute grafische Animationen des Vorspanns, selbst frühe James-Bond-Filme wiesen eine solche Verbindung von Zeichnung und bewegter Fotografie auf. Der umgekehrte Weg ist an sich selten – dass nämlich der Film den Weg in die Bildende Kunst findet. Man muss wohl so filmverrückt wie die in Leipzig lebende Künstlerin Julia Weck sein, um sich ein Projekt wie das ihrer 100 Linolschnitte von letzten Filmbildern auszudenken. Gleichwohl hat diese nachgerade epochale Arbeit ein hohes Maß an Plausibilität: Bei schönen Filmen bleibt man bis zur letzten Filmschlaufe noch im Kino sitzen, um das Verzaubertsein bis zur Neige auszukosten, und das letzte Bild – Ende, Fin, The End – verströmt ein Gefühl kindlicher Melancholie: „Schade, alles vorbei, aus dem Märchen zurück in die banale Realität“, schmerzlich wie der Duft ausgeblasener Christbaumkerzen. Oder Erleichterung: „Noch mal alles gut gegangen“. Immer ein bewegender Moment.
Erstaunlich ist, wie leicht unser geistiges Auge die von Weck meisterhaft in schwarzweiße Schemen umgesetzten Filmbilder in fotografische Realität transformiert – von der Abstraktion auf die Wirklichkeit schließt. Diesem Effekt geht die Künstlerin in ihrem gesamten grafischen Werk nach, in ihren abstrahierten Stadtbildern wie in den Linolschnitten, die sie für das Bauhaus Dessau geschaffen hat.