Annika Siems

Zeichnungen zu Arsène Lupin und zu Graham Greene

Ihre Zeichnungen zu Graham Greenes Der dritte Mann für ein illustriertes Büchergilde-Buch sorgten für Furore, sie waren u.a. im „Dritte Mann Museum“ in Wien und im Museum für Druckkunst in Leipzig ausgestellt. Nun hat die 1984 in der Nähe von Hamburg geborene Künstlerin erneut einen „klassischen“ literarischen Stoff für die Büchergilde in Bilder gefasst, die Geschichten vom Meisterdieb und Gentleman-Gauner Arsène Lupin.



Geschrieben hat diese ab 1905 Maurice Leblanc (1864–1941), der bis zur Erfindung Arsène Lupins mit mäßigem Erfolg als Journalist und Schriftsteller tätig war. Lupin, die zentrale Figur seiner legendären und vielfach verfilmten Krimis und Antipode zu Sherlock Holmes, machte den radikalen Anarchisten zum gefeierten Schriftsteller. 

Bei der Büchergilde wurde nun quasi versehentlich ein bibliophiler „Kracher“ aus dem Text, durch die wunderschönen Bilder und eine ebensolche feine Ausstattung: in graues Leinen gebunden, die Schrift und ein stilisierter Diamant sind – natürlich – in Gold geprägt. Weil sich das Buch aber erst en passant zu einer bibliophilen Kostbarkeit entwickelte, war in der Planung gar keine Vorzugsausgabe vorgesehen. Was furchtbar schade ist!



Annika Siems hat diesem Mangel nun abgeholfen und selbst eine kleine Vorzugsausgabe vorgelegt: Da gerade ihr erstes Kind geboren wurde, hat sie vom Aufwand einer Druckgrafik abgesehen und gibt dem Buch eine kleine unikate Tuschskizze bei, Buch und Aquarell sind signiert. Einen Schuber wie bei den Büchergilde-Vorzugsausgaben, der auch in größerer Stückzahl zum entsprechenden Preis handgefertigt werden müsste, gibt es nicht. 

Zeichnungen zu Graham Greene „Der Dritte Mann“ 
Eigentlich ist ein Buch ja dazu da, dass man ihm eine Geschichte entnimmt. Es gibt aber auch Bücher, deren Entstehungsgeschichte umstände ihrem Inhalt in nichts nachstehen. Ein solches Buch ist Graham Greenes Roman „Der dritte Mann“. Buch? Das war doch ein Film! Mit Orson Welles in der Hauptrolle, dessen Gesicht man nach diesem Film nie mehr vergessen konnte. Und dann diese Zittermusik, die einem immer wieder gruselige Bilder vor das innere Auge zaubert, wenn man sie zufällig im Radio hört. Der einfache Wiener Heurigenmusiker Anton Karas wurde seinerzeit durch sie über Nacht zum Weltstar...

Tatsächlich schrieb Graham Greene zuerst eine skizzenhafte Erzählung als Basis für ein Drehbuch, das in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Carol Reed ausgefeilt und von diesem verfilmt wurde, dann erst entstand das hier vorliegende Buch, das nicht 1 : 1 dem Film entspricht, denn die Literatur bietet eben doch viel mehr Möglichkeiten als ein zeitlich limitierter Film. 1949 hatte der Film in London Weltpremiere, 1950 erschien das Buch, 1951 beim Züricher Artemis Verlag die deutsche Übersetzung.

Kaum jemand war für die Realisierung der von dem Filmproduzenten Alexander Korda ersonnenen Idee einer düsteren Schwarzhandelsgeschichte im Wien der Nachkriegszeit besser geeignet als der 1904 im britischen Berkhamsted geborene Greene, ein Großneffe des Schriftstellers Robert Louis Stevenson. Greene war während des 2. Weltkrieges in einer Sondermission des britischen Auslandsgeheimdienstes tätig, und viele meinen, dass er diese Tätigkeit zeitlebens fortgeführt habe.

Ironie der Geschichte: 2002 wurde bekannt, dass Greene wegen US-kritischer Bemerkungen, u.a. in dem Roman Der stille Amerikaner (1955) von den 1950er Jahren an bis zu seinem Tod 1991 praktisch durchgehend unter Überwachung durch US-Geheimdienste stand. Greene war, nebenbei bemerkt, der Schriftsteller mit den meisten Literatur-nobelpreis-Nominierungen, ohne ihn jedoch je zuerkannt zu bekommen.
2016 veranlasste der Wiener Zsolnay Verlag eine Neuübersetzung des Romans durch Nikolaus Stingl, und die Büchergilde beschloss, diesen Text als illustriertes Buch zu verlegen. Als Illustratorin wurde die 1984 in der Nähe von Hamburg geborene Annika Siems ausgewählt, die nach dem Studium an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg sowie an der École nationale supérieure des arts décoratifs, Paris, als freischaffende Künstlerin arbeitet.

„Natürlich habe ich überlegt, den Film noch einmal zu schauen, als ich die Anfrage erhielt, „Der dritte Mann“ zu illustrieren. Stattdessen habe ich das „Dritte-Mann-Museum“ in Wien besucht. Neben einer umfangreichen Sammlung an Originalexponaten über den Filmklassiker von 1948 kann man sich hier ausführlich über den historischen Hintergrund und die Besatzungszeit in Wien informieren. Ich wollte die Stimmung während der Besatzungszeit in Wien nach dem Zweiten Weltkrieg wider-spiegeln und das Rätselhafte der Erzählung als solches einfangen…“ sagt Siems in einem Interview.

„Das gibt es tatsächlich, ein ganzes Museum für einen einzigen Film: In 13 Räumen in Wien sind 2300 Original-Exponate zu sehen (und 420 Coverversionen des „Harry-Lime-Theme“ von Anton Karas zu hören). Ich habe alles, was es dort über den Film und den Schauplatz zu sehen gibt, eingesogen. So entstanden Bilder und Skizzen im Kopf, die ich später im Atelier mit Bleistift und Tusche zu Papier brachte – Handlung und Szenenverlauf immer im Hinterkopf.“

Und so ist die Illustration kongenial zur Entstehung des Buches selbst auch eine Arbeit, die sich an der Ikonografie des Films orientiert, ohne diesen abzukupfern: „Ich wollte die Charaktere als Typen und deren Eigenständigkeit beibehalten und habe mich deswegen von der spannenden Licht- und Schattenkulisse des Films leiten lassen. So landete ich schließlich bei Aquarellen in Sepia. Die Ton-in-Ton-Malerei fokussiert das Wesentliche…“ 

Inzwischen entstehen ja viele Illustrationen am Grafiktablett, d.h. die Künstler zeichnen sozusagen mit einem E-Stift direkt in den Computer, was vor allem auch den Verlagen die Reproduktionskosten spart. An diesem Buch kann man gut sehen, welche Aura die künstlerische Arbeit auf Papier für eine Buchillustration entwickeln kann. Das hat außerdem den Vorteil, dass es Originale gibt, die man ausstellen (und kaufen) kann. Zu diesem rundherum gelungenen Buch, dem ein Vorwort von Graham Greene zur Entstehungsgeschichte vorangestellt ist, muss aber vor allem eines noch unbedingt angemerkt werden: Es ist ein absoluter Hochgenuss, es zu lesen!

Wir zeigen in unserer Ausstellung, die vorher im Dritte-Mann-Museum, Wien und im Museum für Druckkunst, Leipzig zu sehen war, nicht nur die Originale der abgedruckten Illustrationen, die etwa die doppelte Buchgröße haben, sondern auch zahllose Bleistiftstudien und Skizzen, Vorarbeiten, die einen tiefen Einblick in die Arbeitsweise der 2015 mit dem Hans-Meid-Förderpreis ausgezeichneten Künstlerin gewähren.