Ticha in Farbe und Schwarz-Weiß

Hans Ticha ist ein Meister der Farbe, nicht nur als Maler, der er ja hauptsächlich ist, sondern auch in seinen Buchillustrationen.

Die Realisierung der von ihm gewünschten Farbgebung war ihm so wichtig, dass er unter DDR-Produktionsbedingungen großen Aufwand betrieb, die ästhetischen Einschränkungen durch z.T. stark holzhaltiges Papier bei der Buchproduktion auszutricksen: Für etliche Bücher bediente er sich Technik der Orig.-Flachdruckgrafik, bei der ein Bild erst durch den Zusammendruck von einzeln bezeichneten Druckplatten entsteht.

So braucht es kein Raster (das ja eine Farbe wie ein Sieb darstellt und nicht als volle Farbfläche), und es kann mit eigens abgemischten Sonderfarben gedruckt werden. Ergebnis: kräftige Farbflächen, die geradezu leuchten, egal, welche Qualität das Papier hat. Ein gutes Beispiel ist Tichas Illustration von E.T.A. Hoffmann, Klein Zaches von 1976 bzw. 2. Auflage 1985.

Das Paradoxe ist, dass ein Künstler, der in dieser Technik arbeitet, besonders gut in Schwarzweiß denken können muss. Denn für die Belichtung der vier oder fünf Druckplatten für eine Illustration bezeichnet er jeweils mit schwarzem Stift durchsichtige Folien und muss die später diesen Folien zugeordneten Farben ebenso imaginieren, wie die beim Zusammendruck sich neu ergebenden Farben. Wir zeigen in unserer Ausstellung einige Beispiele für diese Arbeitsweise (Siehe hier unten: Hysterix).

Es gibt jedoch auch ein umfangreiches druckgrafisches und zeichnerisches Werk des Künstlers in Schwarzweiß, das immer im Schatten der sehr kräftigen farbigen Arbeiten steht und das mit dieser Ausstellung gewürdigt und bekannter gemacht werden soll. 

Anfang der 1980er-Jahre entwickelte Ticha eine Reihe von Serigrafien, die wie stark vergrößerte Zeitungsfotos wirkten. Bei seiner ausgeprägten Vorliebe, sich thematisch und formal bei trivialer Alltagskultur zu bedienen und diese durch künstlerische Bearbeitung in neues Licht zu rücken, war die Schwarzweiß-Foto-Anmutung in grotesk großer Rasterung ein dankbares Motiv.

Alles Individuelle verschwand, und übrig blieb der oft skurrile Kern des Bildes: In „Sieger (Goldmedaillen)“ von 1986 z.B. sitzen gleich vier stämmige Gestalten unbestimmten Geschlechts mit je 6 Medaillen um die Hälse auf ihren Podesten. Wenn man bedenkt, wie viel die DDR auf ihr internationales Ansehen durch sportliche Erfolge gab, muss man sich nicht wundern, dass der Staatliche Kunsthandel der DDR in 30 Jahren nur eine einzige Grafik-Edition von Hans Ticha verlegte.

Auch später gab es immer wieder Zyklen von schwarz-weißen Grafiken, die Tichas Bemühen um Verknappung einer Bildaussage auf das Unerlässliche zeigen, bis zur Reduktion eines Gegenstands auf eine Art Piktogramm. Die Bildwirkung farbiger Grafiken überprüft der Künstler häufig dadurch, dass er auch einen (meist einzigen) Abzug in Schwarzweiß herstellt.

Unsere Ausstellung zeigt einen Querschnitt durch ein mehr als 50-jähriges druckgrafisches Werk, die ersten Orig.-Lithografien, die noch während seines Studiums entstanden, stammen aus dem Jahr 1966. Wir präsentieren Zeichnungen, Skizzen, Entwürfe, Buchillustrationen, Holzschnitte, Orig.-Algrafie-Plakate aus der DDR, kurz, eine – wie sagt man: Bunte Mischung? Nein, eine ungeheure Vielfalt von Möglichkeiten in Schwarz-Grau-Weiß, wie sie nur ein so kompletter Künstler wie Hans Ticha hat schaffen können.

Wir nehmen die Ausstellung gleichzeitig zum Anlass, ein schon lange gehegtes Vorhaben zu realisieren, nämlich alle lieferbaren Bücher des Künstlers in Künstlervorzugs-Ausgaben zusammenzustellen, vor allem auch das, was es von den Werkverzeichnissen, die Tichas Lebenswerk fast lückenlos zugänglich machen, noch gibt. 

Ticha, der 1940 in Tetschen-Bodenbach geboren wurde, hat in beiden Deutschländern lange auf die verdiente Anerkennung warten müssen: In der DDR konnte er mit seiner ironischen Distanz zu Staat und Partei naturgemäß nicht reüssieren, musste sein kritisches malerisches Werk verstecken und konnte an sich nicht damit rechnen, dass dieses jemals öffentlich präsentiert werden würde. Nach dem Fall der Mauer musste er erleben, dass er mit den staatstreuen DDR-Künstlern in einen Sack gesteckt wurde. Erst gut 25 Jahre später „entdeckten“ die westdeutsche Kunstpublizistik, der „Markt“ und die Museen seine künstlerische Qualität und seine absolute Singularität. 

Im Oktober 2022 wurde ihm der mit 12.000 Euro dotierte „Sonderpreis Gesamtwerk“ des Deutschen Jugendliteraturpreises für seine vor allem noch in der DDR erschienenen Kinder- und Jugendbuchillustrationen verliehen. Alles Material rund um sein buchkünstlerisches Werk sammelt inzwischen die Deutsche Nationalbibliothek. Auf der Leipziger Buchmesse 2023 startete ein Dokumentarfilmteam die Arbeit an einem Film über Hans Ticha. 

Statt einer Vernissage möchte ich Ihnen den Podcast eines sehr klugen Interviews mit dem Künstler empfehlen, das die Literaturkritikerin Ute Wegmann mit Hans Ticha in dessen Haus führte. Das sind sehr aufschlussreiche 25 Minuten.