Christian Schad
Bis auf den notorischen Deutschlandfunk hat kaum jemand davon Notiz genommen, dass am 21. August 2019 der Expressionist, Dada-Künstler, Hauptvertreter der Malerei der Neuen Sachlichkeit und Erfinder der Kunst des Fotogramms einen runden Geburtstag begehen konnte. Das passiert Christian Schad nicht zum ersten Mal, das temporäre Vergessenwerden ...
1894 in Oberbayern in eine liberale Juristenfamilie geboren, wuchs Schad in München auf, wo er mit 18 Jahren das Gymnasium ohne Abschluss verließ, um an der dortigen Akademie Malerei zu studieren. Sein Aktzeichenlehrer Becker-Gundahl weigerte sich, seine Zeichnungen zu korrigieren: „Sie sind so eigenwillig, ich will da nicht eingreifen“. Wohl dem, der solche Lehrer hat. Gleichwohl brach er das Studium nach wenigen Semestern ab, weil er sich „nicht prüfen lassen wollte“. Er mietete sich im Künstlerviertel Schwabing ein Atelier, wo seine ersten expressionistischen Holzschnitte entstanden. In einem Zirkus lernte er Stepptanz und Lassowerfen.
Den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebte Schad in Holland, kehrte, um dort einer Internierung zu entgehen, nach München zurück, täuschte bei der Musterung jedoch mittels Opiumgebrauchs erfolgreich einen Herzfehler vor und entkam so in die Schweiz. Dort traf er auf andere Emigranten und freundete sich mit dem scharfzüngigen Schriftsteller Walter Serner an, mit dem er die Wohnung und die Herausgeberschaft der Zeitschrift für Literatur und Kunst „Sirius“ teilte. Der Kunsthistoriker Matthias Eberle, der 1980 in der Kunsthalle Berlin eine große Schad-Retrospektive – die erste nach dem 2. Weltkrieg – organisierte, schrieb damals: „Bei Dada war es so, dass wesentliche Anregungen von Schad und Serner ausgingen, aber ganz andere das dann ausgewertet haben, während die eigentlichen Initiatoren hinterher ein bisschen in Vergessenheit geraten sind...“ (sic!)
In Zürich war Schad mit den Dada-Aktionisten Hugo Ball und Emmy Hennings, Hans Arp und Tristan Tzara befreundet, später in Genf mit Frans Masereel und dem Literaturnobelpreisträger Romain Rolland. 1919 entdeckte Schad, der schon mit 13 Jahren mit einem selbstgebauten Vergrößerungsapparat eigene Fotos entwickelt hatte, durch Zufall die Technik des Fotogramms: Er legte Gegenstände auf lichtempfindliches Fotopapier und belichtete und entwickelte dieses. Tristan Tzara nannte diese Technik später Schadografie. 1920 erfand der amerikanische Dadaist Man Ray in Paris, wohl unabhängig von Schad, das gleiche Verfahren, nannte es aber selbst sofort Rayografie, was vermuten lässt, dass Tzara mit der Begrifflichkeit die wahre Urheberschaft Schads herausstellen wollte. Schads Fotomaterial waren „kleine, schmutzige, achtlos weggeworfene Dinge des Lebens“ (G. A. Richter), die so Kunst wurden.
Doch über Dada geht die Zeit hinweg, Schad reiste nach Italien, lebte 1920 bis 1925 hauptsächlich in Neapel und orientierte sich jetzt am Gegenteil, an der großen Kunst der Renaissancemaler. 1925 bis 1928 in Wien, dann in Berlin entwickelte sich Schad zu einem, wenn nicht dem wichtigsten Vertreter der Malerei der Neuen Sachlichkeit. Hauptwerk ist das vorne abgebildete, 1927 entstandene Bild Selbstporträt mit Modell, das der Künstler 1982 in 25 Farbdruckgängen als Serigrafie herstellen ließ – natürlich eine Reproduktion, aber eine, die der Künstler durch seine Signatur als des Originals würdig befand.
Anfang der 30er-Jahre verließ Schad der Erfolg, er geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten und isolierte sich. Nach Hitlers Machtusurpation 1933 wurde Schads Werk nicht wie das vieler anderer Künstler seiner Generation als „entartete Kunst“ diffamiert, dennoch musste er aufgrund seiner Dada-Vergangenheit befürchten, vom nationalsozialistischen Regime mit Berufsverbot belegt zu werden. Er zog sich zurück, reduzierte das Malen und übernahm 1935, um seine Existenz zu sichern, die Leitung eines bayrischen Biervertriebs. 1936 zeigte das Museum of Modern Art in New York einige der frühen Schadografien – ohne Schads Wissen.
Während er sich wegen eines Porträtauftrags in Aschaffenburg aufhielt, wurde sein Berliner Atelier 1942 durch einen Bombentreffer zerstört. Danach übersiedelte er ganz nach Aschaffenburg, wo er mit der Erstellung einer Kopie von Matthias Grünewalds „Stuppacher Madonna“ beauftragt war – eine Arbeit, die er erst 1947 beendete.
Schon 1941 hatte er auf der Suche nach einem Modell in Berlin die junge Schauspielerin Bettina Mittelstädt (*1921) kennengelernt, die ihm nach Aschaffenburg folgte, die eigene Karriere aufgab und ohne die er die 40er und 50er-Jahre wohl schwerlich unbeschadet überstanden hätte. Realistische Malerei ist zu dieser Zeit durch den braunen Kitsch diskreditiert oder wird von den amerikanischen Meinungsführern des sozialistischen Realismus verdächtigt. Schad ist vergessen, isoliert und überlebt durch ein mit Bettina gegründetes Zimmertheater, Wandbildrestaurierungen, das Erteilen von Französisch-Unterricht und das Schreiben von Kunstkritiken.
Als ich vor knapp 25 Jahren eine erste Christian-Schad-Ausstellung organisierte, holte ich diese großartige Frau in Keilberg bei Aschaffenburg ab und ließ mir von ihr meine Ausstellung „autorisieren“. Bettina Schad, die im Jahr 2000 der Stadt Aschaffenburg den kompletten Nachlass ihres Mannes schenkte (die Eröffnung eines Schad-Museums in Aschaffenburg steht unmittelbar bevor), starb am 31. März 2002.
Schad arbeitete dann auch wieder künstlerisch, 1954 kehrte er zum Holzschnitt zurück, 1960 auch zur Schadografie. Trotz seines Ausflugs in die Welt der Malerei, die ihn berühmt machte, war er mehr ein Freund der kleinen Form. In den frühen 70er Jahren arbeitete er auch wieder in der realistischen Malweise seiner neusachlichen Zeit. Etwa zeitgleich begann die „Wiederentdeckung“ Schads mit der wegweisenden Ausstellung im Palazzo Reale in Mailand 1972 und der umfassenden Retrospektive in der Kunsthalle Berlin 1980. Christian Schad starb am 25. Februar 1982.
Die Orig.-Holzschnitte der Ausstellung wurden von Schad zwischen 1913 und 1917 geschnitten, damals jedoch nur in wenigen, nicht signierten Exemplaren abgezogen. Zwischen 1971 und 1978 ließ Schad dann in der Edition G.A. Richter erst- und letztmals Auflagen von den Originaldruckstöcken von je 50 Exemplaren drucken, von ihm handsigniert und nummeriert.
Die Schadografien sind Barytprints, für die die Negative von den unikaten Fotopapierbelichtungen erstellt wurden. Diese Negative hat Schad jeweils durch Signatur für authentisch erklärt, die Prints wurden auf säurefreien (nicht selbstverständlich in den Siebzigern…) Karton aufgezogen, Schad hat sie außerhalb des Bildes betitelt, signiert, datiert und nummeriert. Die Prints haben ein Format von je ca. 28 x 20 cm, auf Karton 59 x 20 cm, Auflage je 38 Exemplare.