(Dietrich) Lusici

25. Februar 1942 – 12. März 2024

Dietrich Lusici gehört zum Tafelsilber der zeitgenössischen  deutschen Kunst. Seine Kunst wie sein Lebenslauf verkörpern das Wertvollste, was ein Künstler „seiner“ Gesellschaft zu geben vermag: Das Vorbild absoluter Unabhängig- und Eigensinnigkeit. Das muss man erst mal durchleben – zumal im ersten künstlerischen Lebensabschnitt in der DDR.

Lusici, 1942 in Ragow als Dietrich Schade geboren, ist einer der Künstler, für die es nur einen authentischen Aufenthaltsort zu geben scheint: den zwischen allen Stühlen. Er reißt sich nicht um Kontakt, ich habe ihn  für unsere erste Ausstellung 2018 nur ausfindig machen können mithilfe des Betreibers einer Internetseite über „Spreewald-Originale“. Dass ihm seine Lausitzer Heimat, der er lange zugunsten von Berlin den Rücken gekehrt hat, viel bedeutet, kann man an seiner 1982 offiziell beurkundeten Namensänderung von Schade in Lusici (ursprüngliche Bezeichnung für „Der Lausitzer“) ablesen.

Lusici, der seinen im 2. Weltkrieg gefallenen Vater nie kennenlernte, musste sich zunächst nach der Decke strecken und absolvierte Ausbildungen zum Dekorationsmaler sowie als Plakat- und Schriftenmaler, Lehrjahre, die dem schon 1974 mit einer Goldmedaille beim UNESCO-Plakatwettbewerb „Wasser ist Leben“ in Warschau Ausgezeichneten später zupass kommen sollten.  Von 1963 bis 1967 schloss er ein externes Studium der Malerei und Grafik bei Bruno Konrad in Dresden und Cottbus an, dann ein Grafikdesignstudium an der Fachschule für Werbung und Gestaltung Berlin.

Immer aber musste er neben dem Studium seinen Lebensunterhalt erarbeiten und sehnte sich nach der Möglichkeit, sich frei von wirtschaftlichen Sorgen malerisch ausprobieren zu können. Deswegen bewarb er sich ohne Protektion und Kontakte bei der Akademie der Künste Berlin um einen mit einem Stipendium verbundenen Meisterschülerplatz. Zu seiner eigenen Überraschung wurde er angenommen, stolperte aber fast noch über die Klippe, dass er keinen Meister nennen konnte. Der bei der Aufnahmeprüfung anwesende Werner Klemke nahm den ihm völlig unbekannten Lusici als seinen Meisterschüler an.

Als Protest gegen das Druckverbot für Privatleute in der DDR begann Lusici frühzeitig, vorhandene Bücher zu übermalen, überhaupt ist das Buch, auch das von ihm selbst konzipierte und geschaffene Künstlerbuch, zentral im Werk vertreten. Es gibt ein eigenes Werkverzeichnis der Künstlerbücher, die sich in zahllosen Museen, privaten Sammlungen in öffentlichen Bibliotheken befinden.

Lusicis Formensprache, die von Matisse’ Figuration ausgehend, zu freien, fast ungegenständlichen Bildern führte, passte nicht in den offiziellen Kunstkanon der DDR. So wurde er nie in den DDR-Künstlerverband aufgenommen, was bedeutete, dass er mit seiner Kunst kaum einen Lebensunterhalt zusammenbringen konnte. Die Annahme von Einladungen westdeutscher Galerien zu Ausstellungen untersagte die DDR, die einen merkwürdig zwiespältigen Umgang mit Lusicis Arbeit an den Tag legte: Sie zeigte Lusicis 1974 von der UNESCO ausgezeichneten Plakatentwurf „Wasser ist Leben“, einen frühen Beitrag zur Kritik an der massiven Umweltverschmutzung, 1976 auf der Biennale in Venedig – aber der Künstler selbst wusste zu Zeiten nichts davon, wie auch das künstlerische Original bis heute verschollen ist.

1983 nimmt der Staatliche Kunsthandel der DDR 23 Bilder von Lusici in Kommission, rechnet aber kein Stück ab und kassiert, was noch vorhanden ist, nach Lusicis Ausreise nach Westberlin dann endgültig ein – Beutekunst.  Ein anderer dagegen schätzt Lusicis Kunst sehr: 1981 treffen sich Joseph Beuys und Lusici in der Westdeutschen Vertretung in Ostberlin und tauschen Arbeiten. Auch mit dem russischen Dissidenten Lew Kopelew versteht sich Lusici.

Ihm selbst wurde das Leben in der DDR unerträglich: „Einem Staat, der mich nicht gewähren ließ, einem Staat, der meine Kunst nicht beachtete, konnte ich auch keine Beachtung entgegenbringen“. 1984 stellte er einen Ausreiseantrag, dem nach zwei quälend langen Jahren stattgegeben wird.

Neuanfang bei null? Materiell ja, aber es gibt in der westdeutschen Kunstszene engagierte Unterstützer. Eine 1985 von der Galerie der Europäischen Akademie in Berlin zusammengestellte Ausstellung „Das frühe Werk“ tourt durch ganz Westdeutschland und Österreich, mit  Stationen u.a. in Kassel, München, Wien, Köln, Darmstadt, Erlangen.

1988 ist er mit seinen Künstlerbüchern auf der Art Basel vertreten, fast 10 davon werden in private Sammlungen verkauft, dann kauft auch das Kupferstichkabinett der Berliner Museen zwei Lusici-Malerbücher. Das Mainzer Gutenberg-Museum stellt seine Bücher aus und und und. Die Stationen von Lusicis Erfolgen sind detailliert im u.a. Katalog nachzulesen, Museumsausstellungen  und -ankäufe im vereinten Deutschland, internationale Erfolge, Großplastiken im öffentlichen Raum, denn Bildhauer ist er auch.

Und nach ein paar Jahren macht Lusici dann wieder einmal das, was man am wenigsten von ihm erwartet: Er kehrt dem trubeligen Berlin den Rücken, schaltet seine Internetseite aus, geht in die tiefe Provinz, baut sich ein Gartenatelier und ist wieder zu Hause in der Lausitz, im Spreewald, wo nunmehr er die Kirche unterstützt, die ihm früher geholfen hat, und wo er Kindern die Lust an der Kunst vermittelt. Manchmal schaut ein Fernsehteam bei ihm rein, ansonsten malt er in aller Ruhe und geht auch selten ans Telefon. Eine Diskussion um den Begriff „Heimat“ musste dieser Mann nicht führen.