Buch ist Buch, Grafik ist Grafik. Wozu das „Mixed“, die Vorzugsausgabe?
Begonnen hat die Veredelung einzelner Bücher aus größeren Auflagen schon vor mehr als 500 Jahren: Bereits im 15. und 16. Jahrhundert wurden Vorzugsausgaben, auf Pergament oder bestem Papier mit breitem Rand gedruckt, vom Autor als Widmungsexemplare versandt. Man nannte sie sinnigerweise auch „Fürstenexemplare“... Aber schon im 18. Jahrhundert eroberte sich ein städtisches Bürgertum das vormalige adelige Privileg und bescherte der Kultur der Vorzugs- oder Liebhaberausgaben eine erste Blütezeit. Oft durch individuelle luxuriöse Handeinbände herausgehoben, schmückten solche Bücher die bibliophilen Sammlungen von Bürgern, die kulturelle Ebenbürtigkeit mit Adel und Kirche anstrebten.
Die Industrialisierung der Buchherstellung Ende des 19. Jahrhunderts bewirkte einerseits sinkende Buchpreise und so auch eine Demokratisierung des Zugangs zu Literatur und Bildung, die Fokussierung auf Massenproduktion zu niedrigen Herstellungskosten ging aber ganz entschieden zu Lasten der äußeren Form des Buches. Der Buchästhetik drohte der Untergang. In dieser Zeit kam nicht nur die Kultur des Pressendrucks, des handgefertigten Buches in geringer Auflage, auf, sondern auch die Idee, einen kleinen Teil der großen Auflage illustrierter Bücher durch Signierung und Beigabe einer Originalgrafik besonders herauszuheben.
Das eröffnete zum einen die Möglichkeit, den im Buch reproduziert gedruckten Zeichnungen ein Original des Künstlers beizugesellen, dessen Strahlkraft und Aura nicht durch die technischen Beschränkungen der Reproduktion gemindert wird. Zum anderen hat der relativ kleine Kreis der Käufer/innen – es geht in der Regel um ca. 100 Exemplare aus einer Auflage von mehreren Tausend – ein Artefakt in der Hand, vom dem bekannt ist, dass auch der Künstler oder die Künstlerin damit hantiert haben, beim Signieren des Buchs und der Grafik, wenn diese nicht sogar von deren eigener Hand gedruckt wurde. Das individualisiert das industriell gefertigte Massenbuch, das, wie die Büchergilde seit 1924 zeigt, aber auch nicht zwangsläufig von minderer Qualität sein muss.
Die Büchergilde öffnete sich der Kultur der Vorzugsausgabe erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, an einem Überblick über die Geschichte der illustrierten Büchergilde-Bücher und deren Vorzugsausgaben arbeiten wir gerade intensiv. Zu jedem wichtigen illustrierten Buch erscheint eine Vorzugsausgabe in einem von Hand gefertigten Schuber. Das Buch ist mit den Büchern aus der Gesamtauflage identisch, aber in der Regel handsigniert und nummeriert, eine signierte und entsprechend nummerierte Originalgrafik liegt bei.
Bei der Vorzugsausgabe gewinnen alle Beteiligten: die Künstler, die ein Zusatzhonorar für die Kreation der Originalgrafik erhalten; der Verlag selbst, weil die Vorzugsausgaben durch ihre Rarität meist sehr begehrt und damit schnell verkauft sind, so fließt rasch ein Teil der Gesamtherstellungskosten zurück, was bei den auf Kredit vorfinanzierten aufwändigen Prachtstücken unserer Buchproduktion manchmal lebenswichtig ist. Das bedeutet, dass die Käufer/innen der Vorzugsausgaben mit dafür sorgen, dass die große Auflage überhaupt entstehen kann.
Ja, und wirklich last not least profitieren die Käufer/innen der Vorzugsausgaben: Zum einen sind, auch wenn das erst einmal absurd klingt, Grafiken, die in einem Buch liegen, billiger als eine Grafik ohne Buch. Der Verlag versucht eben, durch eine gewisse Preisattraktivität den Anreiz für schnellen Verkauf zu schaffen. Und andererseits behalten oder steigen Vorzugsausgaben im Gegensatz zum häufiger zu findenden „normalen“ Buch im Wert, sie werden auf Auktionen und in Antiquariaten gehandelt.
Der größte Gewinn liegt aber in der Buchkunst gewordenen Wertschätzung der Literatur selbst. Denn so wie die sorgfältig ausgewählte Typografie, die beste Lesbarkeit in kongenialer Ästhetik gewährleisten soll, und wie die Illustration, die den Text aufnimmt, interpretiert und neugierig auf ihn macht, muss auch die Vorzugsausgabe ihrem edelsten Zweck dienen – der Würdigung des literarischen Inhalts.
Wolfgang Grätz